Seit 50 Jahren im Kirchenvorstand und kein bisschen müde
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Claus-Dieter Winkelmann ist seit 50 Jahren ehrenamtlicher Kirchenvorstand in Scheeßel im Landkreis Rotenburg (Wümme). Er hat viel erlebt - dabei musste man ihn zur ersten Kandidatur noch überreden.
Dutzende Ordner mit tausenden Papieren, hunderte Vorstandssitzungen, literweise getrunkener Kaffee – so könnte die Bilanz aus einem halben Jahrhundert im Kirchenvorstand der St.-Lucas-Kirchengemeinde Scheeßel aussehen. Doch zwischen den Papieren und Terminen verbergen sich Geschichten, die Claus-Dieter Winkelmann hautnah erlebt hat und die sein Leben geprägt haben.
„Ich bin mittendrin und kann hier etwas bewegen“, sagt der schlanke 71-Jährige. „Jedes Jahr aufs Neue wird meine Arbeit geschätzt, das spüre ich.“ Ein Lächeln gleitet über das Gesicht des Kirchenvorstehers. Dass er seinen Dienst einstmals unsicher antrat, ist ihm nicht mehr anzumerken. „Ich war in der Evangelischen Jugend und auch beim CVJM aktiv und wurde angesprochen, ob ich in den Kirchenvorstand eintreten möchte. Ich hatte nicht so recht Ahnung, was da auf mich zukommen würde – aber heute bin ich froh über die Entscheidung.“
Als er 1970 zum ersten Mal gewählt wurde, befand sich die Kirchenvorstandsarbeit landeskirchenweit in einer Umbruchsituation. Ehrenamtliche übernahmen Stück für Stück mehr Verantwortung in der Kirche und die Aufgaben des Kirchenvorstands wurden vielfältiger. Winkelmann war gerade 21 Jahre jung, hatte seine Ausbildung abgeschlossen und arbeitete in der Scheeßeler Sparkasse. Deutschland war damals noch in Ost und West geteilt, Frauen wurden mit dem Namen ihres Ehemanns angesprochen, der erste „Tatort“ ausgestrahlt. „Kirchenvorstandssitzungen fanden im Wohnzimmer des Pastors statt“, erinnert sich Claus-Dieter Winkelmann. „Es waren nur zwei Frauen dabei, die Herren trugen dunkle Anzüge, es wurde viel geraucht. Unterlagen hatte man keine dabei – im Grunde erzählte der Pastor, was gerade anstand. Dann hat man mehr oder weniger diskutiert.“
Heute können Kirchenvorstände und Gemeindeverwaltungen auch Online-Plattformen wie intern-e nutzen, um Dokumente auszutauschen und gemeinsam zu bearbeiten; die Gemeinden hat das selbstständiger gemacht, findet Winkelmann. Aber: wo es früher Unterstützung durch das Kirchenkreisamt Rotenburg gab, kommt nun weniger. „Früher war bei unseren Vorstandssitzungen häufiger ein Vertreter des Amts dabei, das gibt es jetzt nicht mehr so oft. Uns fehlt dadurch natürlich gewisses Know-How, wir kennen nicht immer die Rahmenbedingungen“, kritisiert Winkelmann.
Natürlich ahnte der damals 21-Jährige bei seiner ersten Wahl nicht, dass er über Jahrzehnte im Vorstand bleiben würde. Doch schon vor der zweiten Wahl 1976 wurde Winkelmann von Gemeindegliedern angesprochen und gebeten, weiterzumachen. 12 Plätze sind bei jeder Wahl zu besetzen, Winkelmann landet fortan stets auf einem der ersten vier Plätze. „Das motiviert natürlich auch, weiterzumachen“, sagt Winkelmann sachlich, wie es seine Art ist. „Und ich habe gesehen, wie viel man bewegen kann.“
Vieles werde mit der Zeit zur Routine, manches aber wird in der Gemeinde und dem Vorstand heiß diskutiert. „Zum Beispiel die Einführung von Traubensaft beim Abendmahl. Oder, dass auch Männer und Frauen durchmischt in den Bänken sitzen dürfen und man helle Kleidung tragen darf – das haben wir jungen Mitglieder vorangetrieben. Besonders für Ältere waren das große Schritte, an die sie sich gewöhnen mussten. Da gab es Diskussionen und heute ist es selbstverständlich. Oder die neue Orgel, die 1973 beschlossen wurde, aber uns noch Jahre später finanziell beschäftigt hat.“
Beruflich ging es für Winkelmann weiter voran – zuletzt war er Leiter der Revisionsabteilung der Scheeßeler Sparkasse. Sein Gespür für Zahlen brachte er auch in sein Ehrenamt ein: ab 1976 war er Vorsitzender des Finanz- und Verwaltungsausschusses. Als 2003 die St.-Lucas-Stiftung Scheeßel gegründet wird, wurde er auch dort Vorstand und Rechnungsführer, betrieb unter anderem Fundraising. „Ich arbeite unheimlich gern mit Haushaltsplänen und Zahlen, das macht mir einfach Spaß!“. So erfüllt er sein Motto nach dem Bibelwort: „Und dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“
50 Jahre, ein halbes Jahrhundert – da bleiben viele Momente in Erinnerung. „Klasse war, als 2005 tatsächlich die damalige Landesbischöfin Margot Käßmann zur 1.200-Jahrfeier von Scheeßel zu uns kam und predigte. Da war die Kirche voll und die Stimmung super! Oder als ich bei einer „Zeltmission“ als 16-Jähriger die Eröffnungsrede vor 300 Menschen halten durfte. Die Rede war zwar vorgeschrieben, aber für mich einfach ein tolles Erlebnis.“
Während Claus-Dieter Winkelmann erzählt, breitet er immer mehr Unterlagen aus. Der Esstisch ist bedeckt mit Papierstapeln – aber ordentlich sortiert. Winkelmann hat alles festgehalten und aufgehoben: die schreibmaschinengetippte Einberufung in den Kirchenvorstand vom damaligen Landesbischof Hanns Lilje genauso wie dutzende Listen, Tabellen, Aufzeichnungen: die Haushaltsaufstellungen, Kollekten-Dienstpläne, eine Übersicht, welcher Kirchenvorstandskollege wie lange im Amt war – alles notiert und abgeheftet. Dokumentation liegt in seiner Natur, „sonst wäre ich in der Sparkasse auch nicht so weit gekommen“, sagt Winkelmann zufrieden. So kennt er seine Gemeinde wirtschaftlich und kirchlich wie wahrscheinlich kaum ein anderer. Und er fühlt sich wohl in ihr, das ist spürbar. Dass über den Zahlen das gute Miteinander steht, ist sein größter Wunsch, sagt er. „Pastoren kommen und gehen. Die Gemeinde aber bleibt.“
Christine Warnecke