Offen für göttliche Augenblicke
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Zwölf Berufsschullehrkräfte beenden mehrjährige Weiterbildung in Religion
Wozu muss es in der Berufsschule Religionsunterricht geben? Diese Frage stellen nicht nur Schüler*innen, sondern auch manche Ausbildungsbetriebe und gelegentlich sogar die eigenen Kolleg*innen. Dennoch haben zwölf Berufsschullehrkräfte, die sonst andere Fächer unterrichten, in einer zweieinhalbjährigen Fortbildung die Qualifikation erworben, künftig auch Religionsunterricht zu erteilen – das alles neben ihrem eigentlichen Job. In einem feierlichen Gottesdienst in Loccum erhielten sie jetzt das entsprechende Zertifikat des Landes Niedersachsen und eine kirchliche Bestätigung, die sogenannte Vokation.
Heike Luttermann, Landesfachberaterin für Evangelische Religion der Landesschulbehörde, die die Fortbildung gemeinsam mit Berufsschulpastor Dirk Bischoff leitet, hat gleich mehrere Begründungen parat, warum Religion auch an der Berufsschule ihren Ort haben sollte. Bei künftigen Erzieher*innen und Altenpfleger*innen liege es auf der Hand, dass Fragen nach Leben und Tod eine Rolle spielen. Wer Kinder, Kranke oder Sterbende begleitet, sollte auf solche Fragen vorbereitet sein. Aber es geht nicht nur um die Verknüpfung mit dem späteren Beruf, sondern auch um die Schüler*innen selbst: „Sie befinden sich selbst in einer Umbruchsituation, machen vielleicht gerade erste Beziehungs- und andere Lebenskrisen durch“, sagt Heike Luttermann. Im Religionsunterricht könnten solche Themen besprochen werden.
Die zwölf Teilnehmer*innen der Fortbildung trafen sich während der zweieinhalb Jahre zu acht mehrtägigen Kursen im Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI). Am Ende mussten sie eine Hausarbeit über eine praxistaugliche Unterrichtssituation vorlegen. In einem Beispiel wurde deutlich, wo auch Maler*innen und Lackierer*innen religiöse Fragen begegnen können: „Da wurde durchgespielt, dass eine Malerfirma einen Hospizraum gestalten sollte“, erläutert Dirk Bischoff, Berufsschulpastor in Peine. „Wie kann ein angemessenes Umfeld für Sterbende aussehen? Plötzlich mussten sich die Schüler*innen mit liturgischen Farben und religiösen Symbolen beschäftigen.“
Anja Scherwinsky-Niemann, Kursteilnehmerin aus der Region Hannover, hat sich des Themas Lebensmittelverschwendung angenommen. Ihr Thema: „Unser tägliches Brot gib uns heute – der tägliche Umgang mit der Schöpfung“. Ihr Ziel: bei den jungen Leuten eine Haltungs- und Handlungsveränderung zu bewirken. Muss es so viel Fleisch sein? Kann man auch Lebensmittel mit weniger Plastikverpackung kaufen? Und muss man Waren, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, sofort wegwerfen? „Viele waren ganz fasziniert, dass das noch schmeckt“, berichtet die Lehrerin. Hat sie ihr Ziel erreicht? Zumindest teilweise: Ein Schüler habe ihr gestanden, dass er jetzt „im Döner-Laden ein voll schlechtes Gewissen“ habe.
Christliche Ethik spielt im Unterrichtsalltag eine große Rolle. Für die Teilnehmer*innen der Weiterbildung stand allerdings zunächst Basiswissen auf dem Programm. In den Kursen ging es um „Die Bibel – das Buch der Bücher“, „Jesus Christus – wahrer Mensch und wahrer Gott“ oder „Religionen der Welt“. Eine Exkursion führte zu den Geburtsstätten der Reformation: Wittenberg, Erfurt, Weimar, Eisenach. „Alphabetisierung in Theologie“ nennt Berufsschulpastor Dirk Bischoff das Konzept. Die Bandbreite der Teilnehmer*innen sei groß: „Von null Vorwissen bis kirchlich sozialisiert ist alles dabei.“
Die persönliche Motivation spielt eine wichtige Rolle, wie etwa Jens Renneberg (BBS II Northeim) beschreibt: „Das Fach Religion bietet gerade mir als Geschichtslehrer die Möglichkeit, den Schülern die Entwicklung und das Zusammenwirken vor allem der drei monotheistischen Weltreligionen näherzubringen – und so die aktuellen Konflikte und Stereotypen aus einer historischen Perspektive zu betrachten.“
Zudem sei der Umgang mit den Schüler*innen ein anderer als in „normalen“ Fächern: „Es entwickeln sich andere Gespräche als im übrigen Unterricht. Es ist erforderlich, mehr als sonst als Mensch aufzutreten und die Lehrerrolle in den Hintergrund treten zu lassen“, sagt Jens Renneberg.
Diese Andersartigkeit des Religionsunterrichtes würdigte auch Jan Velbinger vom Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ), als er den erfolgreichen Absolvent*innen in Loccum die staatlichen Zertifikate überreichte: „In dieser schnellen und digitalisierten Zeit, in der es kaum noch gesicherte Wahrheiten gibt, bietet gerade das Fach Religion Orientierung und Haltung.“
Oberkirchenrat Dr. Marc Wischnowsky, im Landeskirchenamt in Hannover unter anderem für die Lehramtsausbildung zuständig, zollte den Teilnehmer*innen großen Respekt für ihr Engagement. In seiner Predigt sprach er über den Sabbat und die Unverfügbarkeit der Gotteserfahrung. Zwar sei der Religionsunterricht keine Missionsveranstaltung, aber in dem oft sehr reglementierten Schulablauf sei es gerade hier möglich, „die Sinne dafür offenzuhalten, dass es einen Einbruch göttlicher Augenblicke“ geben könne. Für guten Religionsunterricht bedürfe es einerseits der Kompetenzen, die die Teilnehmer*innen nun erworben hätten, andererseits aber eben auch einer „Öffnung nach oben“.
Lothar Veit