Von klein auf
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Kindergarten Bethanien in Quakenbrück leistet täglich Integrationsarbeit
Schichtarbeit, geringe Deutschkenntnisse und relative Armut - Die Probleme, mit denen viele Familien in der Quakenbrücker Neustadt täglich zu kämpfen haben, sind vielseitig. Dabei den eigenen Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, ist nicht immer einfach. Eine große Hilfe ist vielen Eltern dabei der Evangelische Kindergarten der Stiftung Bethanien. Rund 95 Kinder verbringen dort von montags bis freitags ihre Vormittage, rund die Hälfte von ihnen auch die Nachmittage. Landessuperintendentin Birgit Klostermeier hat den Kindergarten besucht.
Melone, Joghurt und ein Käsebrot auf der einen Seite; Nougatcreme, Muffins und gezuckerte Getränke auf der anderen. Daneben ein grüner beziehungsweise roter Smiley und das Symbol für einen gehobenen Daumen beziehungsweise ein dickes X – das zeigt die Bildtafel auf dem Flur zur hellblauen Nachmittagsgruppe im Quakenbrücker Kindergarten Bethanien. „Gesundes Essen – jeden Dienstag“ steht groß darüber. „Manche Kinder, die zu uns kommen, sprechen nicht nur nicht unsere Sprache, sondern sie sprechen auch kaum ihre Muttersprache. Dann helfen Bildtafeln wie diese enorm weiter“, berichtet Denis Fürst, der Leiter des Evangelischen Kindergartens, beim Rundgang durch den Siebzigerjahre-Bau in der Quakenbrücker Neustadt. Neben der hellblauen Nachmittagsgruppe gibt es noch zwei weitere; insgesamt fünfzig Kinder gehören dazu – in den fünf Gruppen vormittags sind es sogar fünfundneunzig. 85 Prozent der Kinder in seinem Kindergarten haben ausländische Wurzeln, erklärt Leiter Denis Fürst im Gespräch mit Regionalbischöfin Birgit Klostermeier. Viele von ihnen sind Rumänen, außerdem gibt es eine große Gruppe griechischer Muslime – einer Minderheit in ihrem Heimatland. In der Neustadt leben insgesamt Menschen aus mehr als achtzig Nationen.
„Wenn Sie die Kinder hier zusammen erleben, dann fragt kein Kind das andere: `Wo kommst Du her?´, `Warum sprichst Du eine andere Sprache?´ oder `Wieso siehst Du anders aus als ich?´ - Das spielt überhaupt keine Rolle. Selbst wenn die Kinder keine gemeinsame Sprache sprechen, dann spielen sie einfach miteinander“, sagt Denis Fürst.
Insgesamt 25 Menschen arbeiten im Kindergarten Bethanien: Erzieherinnen und Erzieher, eine Dolmetscherin, eine Sprachförderkraft und zwei sogenannte Quik-Kräfte, die zur qualitativen Unterstützung im Kindergarten sind. Insgesamt drei von ihnen sind Männer; Tendenz steigend.
Als Denis Fürst vor dreieinhalb Jahren von seiner Vorgängerin die Leitung des Kindergartens übernahm, waren die Reaktionen unterschiedlich. Für den Hausmeister wurde er gehalten, für den Postboten oder für jemanden, der Sozialstunden ableisten muss, erzählt der 39-Jährige lachend. Andererseits wurde er gerade von Vätern, die aus eher patriarchal geprägten Ländern stammen, schnell hoch angesehen. „Ich bin ja auch nicht gerade der Schmalste, das hat sicherlich auch manchmal geholfen“, sagt Fürst und grinst.
Fürst ist ausgebildeter Erzieher. Eigentlich wollte er mit Jugendlichen arbeiten. Dann kam das erste Job-Angebot aus einem Kindergarten, dann das zweite, und nun besetzt der Merzener schon zum zweiten Mal eine Führungsposition. Dadurch kann er nicht mehr so viel mit den Kindern arbeiten. „Aber es macht mir Spaß, zusammen mit den Kolleginnen Neues zu schaffen“, so Fürst.
So gibt es im Kindergarten Bethanien neben diversen Festen einmal im Monat ein Elternfrühstück. Die Kosten für das Elternfrühstück trägt der Kindergarten. Beim Zirkusfest steuern alle etwas zum Buffet bei. Mehr als hundert Kinder und Erwachsene beteiligen sich daran: „alle bringen etwas selbst Zubereitetes mit, und zwar manchmal so viel, dass wir – wie vor kurzem – mit den Resten noch die ganze Nachbarschaft hätten versorgen können“, berichtet Kindergartenleiter Fürst: „Essen schafft bei uns Gemeinschaft. Hier kann jeder etwas beitragen und gucken, was die anderen aus anderen Kulturen so mitbringen.“
Die Kinder, die den Kindergarten Bethanien besuchen, sind im Alter zwischen zwei und sechs Jahren. Unter ihnen sind nicht nur solche mit fehlenden Deutschkenntnissen, sondern auch mit anderem Förderbedarf oder – wie im Fall eines Mädchens – mit einer Schwerstbehinderung. Ihr Pflegebett steht am Fenster in einem der Gruppenräume. Gelingt Inklusion hier? Fragt Landessuperintendentin Birgit Klostermeier. „Sie hat sicher Grenzen. Aber vielleicht klappt sie bei uns besser als woanders. Ob es ein sprachliches, körperliches oder soziales Handicap ist – bei uns ist fast `normal´, mit einer Einschränkung zu leben. Und genau das macht den Umgang miteinander bei uns so entspannt“, sagt Denis Fürst.
Die Kinder haben bei uns ein Mitspracherecht. Wir sind offen dafür, was sie gerade machen möchten, und lassen ihnen auch Freiheiten – vielleicht kommen sie deshalb auch so gerne zu uns“, vermutet Erzieherin Sina Krause. Die 27-Jährige arbeitet jetzt im vierten Jahr im Kindergarten Bethanien. Hatte sie keine Vorurteile, als sie sich in der Einrichtung im sogenannten „Problem-Stadtteil“ beworben hat? „Nein, ganz im Gegenteil. Aber ich muss sagen, ich hatte Respekt. Hier zu arbeiten, ist sicher auch eine Herausforderung. Und genau das mag ich“, sagt Sina Krause. Die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher hört nicht im Kindergarten auf. Sina Krause und ihre Kolleginnen und Kollegen betreuen nicht nur die Kinder, sie helfen wenn nötig auch den Eltern bei Behördengängen oder der Organisation von Arztbesuchen. Dabei sei die Stimmung meist gut.
Frustrierend sei lediglich, wenn man ein Kind, bei dem die Integration gelungen war, das am Ende der Kindergartenzeit fließend deutsch sprechen konnte und das viele Freunde hatte, als Teenager von den Eltern verheiratet wird. Sagt Denis Fürst und meint damit in erster Linie Kinder, die zur Minderheit der teils streng gläubigen griechischen Muslime gehören, von denen viele in der Quakenbrücker Neustadt leben. „Dann ist plötzlich alles weg: die Sprache, die Schulbildung und die Kontakte zu Jugendlichen außerhalb der eigenen Gemeinschaft.“
Trotzdem hat Denis Fürst eine klare Meinung: Es sei alles besser, als Kinder bis zur ersten Klasse zu Hause zu lassen. „Wir merken, ob ein Kind am Wochenende draußen war oder ob es viel vor dem Fernseher gesessen hat. Dann gehen wir eben raus“, sagt der 39-Jährige.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“ – das ist die aktuelle Jahreslosung der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für das Bibellesen. Jagen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kindergartens Bethanien dem Frieden nach? Das möchte die Osnabrücker Regionalbischöfin zum Ende des Gesprächs gern von Denis Fürst wissen. „Ja, in gewisser Weise schon. In erster Linie geht es für uns darum, den Alltag gemeinsam zu gestalten. Aber das zweite ist, Frieden für die Kinder zu schaffen, die bestmöglichen Bedingungen, auch in Einzelfällen. Ja, damit jagen wir sicher auch dem Frieden nach“, sagt der große, freundlich wirkende Mann mit einem ruhigen, aber breiten Lächeln im Gesicht.
Derzeit ist ein dritter Kindergarten in Trägerschaft der Diakonischen Stiftungen in Quakenbrück in Planung. Er soll in zwei Jahren eröffnet werden – ebenfalls in der Neustadt.