"Hier erzählen die Gebäude Geschichte"
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Die Niedersachsen-Kaserne in Bergen-Hohne ist eng mit der Geschichte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen verbunden. Auf dem Kasernengelände lebten zeitweise KZ-Häftlinge und später Überlebende. Jetzt übernimmt die KZ-Gedenkstätte dort ein Gebäude.
Katja Seybold von der Gedenkstätte Bergen-Belsen fährt an der Sicherheitskontrolle der Bundeswehr vorbei auf das Gelände der Niedersachsen-Kaserne in Bergen-Hohne. Hinter den hohen Zäunen hält sie vor einem hellgetünchten Bau, über dessen Tür die Aufschrift "M.B. 89" prangt. Die ehemalige Mannschaftsbaracke der Wehrmacht liegt rund einen Kilometer vom früheren Konzentrationslager Bergen-Belsen entfernt. Wenn am 28. April an den Jahrestag der Befreiung des KZ vor 74 Jahren erinnert wird, wird der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Peter Tauber, das Gebäude offiziell an die Gedenkstätte übergeben.
Mit einer Ausstellung soll dann dort an die Geschichte der Wehrmacht und der Kaserne erinnert werden und auch daran, wie eng sie mit der des benachbarten Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagers verknüpft ist. "Ohne die Kaserne hätte es die Lager an diesem Ort nicht gegeben", sagt die Historikerin, die gemeinsam mit dem Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, und Studierenden die Ausstellung konzipiert hat.
Das NS-Regime baute 1935 im Zuge seiner Aufrüstungs- und Kriegspolitik in Bergen-Hohne einen Truppenübungsplatz und die Kaserne. 1940 wurde in der Nähe das Kriegsgefangenlager und 1943 das Konzentrationslager Bergen-Belsen eingerichtet. Im April 1945 brachte die SS zudem in der Kaserne rund 15.000 Menschen unter, die die Deutschen auf ihrem Rückzug aus dem KZ Mittelbau-Dora im Harz nach Bergen-Belsen getrieben hatten. Der belgische Widerstandskämpfer Leopold Claessens (1924-2011) schildert in seinem Tagebuch die Ankunft dort: "Wie wir es noch bis dahin geschafft haben, verstehe ich noch nicht, ich konnte wirklich nicht mehr. Sechs Nächte und fünf Tage ohne Essen", notiert er. "Sie stopfen uns mit 700 in einen Block."
"Die Bedingungen in dem Zweiglager waren etwas besser, als im restlos überfüllten Hauptlager", sagt Seybold. Doch auch die Gefangenen in der Kaserne seien vollkommen ausgezehrt gewesen. In Bergen-Belsen starben während der NS-Zeit und in den Wochen nach der Befreiung rund 20.000 Kriegsgefangene und mehr als 52.000 Häftlinge des Konzentrationslagers an Hunger, Durst und Seuchen, durch Übergriffe der SS oder an den Folgen der Haft. Vom eigentlichen Lager existieren kaum noch Überreste, weil die Briten nach der Befreiung aus Angst vor Seuchen die Baracken verbrannten. Ganz anders sieht das in der Kaserne aus.
Im Haus "M.B. 89" deutet Seybold auf rotbraun gestrichene Holzdielen, die Bauarbeiter unter einem Teppich freigelegt habe. "Das ist der Originalboden", sagt die Historikerin. "Hier erzählen die Gebäude noch Geschichte." In der Ausstellung sollen Besucher diese auch multimedial ergründen können. Über einen Touchscreen können sie dann auf einer Karte Orte ansteuern, die auf dem militärischen Gelände sonst weiterhin nicht zugänglich sind. Zunächst wird die Ausstellung nur bei Führungen und auf Anfrage zu sehen sein. Später soll aber ein Areal einen eigenen Zugang bekommen, das neben Haus "M.B. 89" vier weitere geschichtsträchtige Gebäude umfasst. Langfristig soll in der Mannschaftsbaracke ein Bildungszentrum entstehen. "Ein Meilenstein in der Entwicklung der Gedenkstätte", sagt Stiftungsleiter Jens-Christian Wagner.
Am 28. April wird der Vorsitzende der "World Federation of Bergen-Belsen Associations", Menachem Rosensaft, unter den Gedenk-Rednern sein. Er gehört zu den Kindern jüdischer Überlebender, die sich seit längerem dafür eingesetzt haben, dass historische Zeugnisse auf dem Kasernengelände erhalten bleiben, das noch bis 2015 von den Briten genutzt wurde. "Für sie ist dies ein wichtiger Ort der Trauer, aber auch des Neubeginns", sagt Katja Seybold. Nach der Befreiung lebten in der Kaserne "Displaced Persons". Diese heimatlos gewordenen ehemaligen KZ-Häftlinge warteten auf eine Möglichkeit, Deutschland zu verlassen. Sie gründeten eine Selbstverwaltung, Schulen und Kultureinrichtungen. Nach 1945 wurden in der Kaserne noch mehr als 1.500 Kinder geboren - unter ihnen Menachem Rosensaft.
Karen Miether/epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen