Sprachförderung mit Hindernissen
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In Niedersachsen wurde die vorschulische Sprachförderung der Kinder von der Grundschule in die Kitas verlagert
Der fünfjährige Ilias hebt aufgeregt den Finger und plappert los: "Wir haben Pferde, Schweine und Esel gesehen und Eis gegessen." Neben ihm sitzt Erzieherin Anke Aust am Tisch und ermuntert eine Gruppe von Kindern durch weitere Nachfragen, über einen kürzlichen Tagesausflug zu erzählen. "Nein, zum Mittagessen gab es Hot Dogs", korrigiert der sechsjährige Josef seinen Spielkameraden. Vor den Kindern liegen ausgebreitet mehrere Karten mit unterschiedlichen Symbolen, die neue Anregungen für Gesprächstoff geben. In der evangelischen Kindertagesstätte St.-Thomas in Hildesheim gehören Sprachförderung und Sprachbildung schon lange zum Alltag.
Offiziell hat es in Niedersachsen erst im Sommer eine Umstellung gegeben. Seit August sind per Gesetz nicht länger die Grundschulen, sondern die Kindertageseinrichtungen für die Sprachförderung der Kinder im letzten Jahr vor der Schule zuständig. Eine sinnvolle Entscheidung, sagt Expertin Ann-Katrin Bockmann von der Universität Hildesheim. So finde die Förderung bei bekannten Bezugspersonen statt. In der Vergangenheit seien dafür oft die Lehrer in die Kitas gekommen. "Aber es gab auch Kinder, die mit dem Taxi zu einer Schule gefahren wurden, die für sie unvertraut war."
Die Erzieher in der Hildesheimer Kita beschäftigen sich schon seit Jahren mit der Sprachförderung und damit, wie sie diese am besten in den Alltag integrieren können. Im Konferenzraum hängen von einer kürzlichen Präsentation noch kleine Zettel, die darauf hinweisen, wie wichtig eine deutliche Aussprache oder der Blickkontakt zum Gesprächspartner ist. In fast jedem Raum finden die Kinder Bilder, die sie zum Gespräch animieren. Ein Foto im Eingangsbereich zeigt den Kindern, was es zum Mittagessen geben wird: An diesem Tag ist es Pfannkuchen mit Apfelmus, wie die vierjährige Nahla erklärt.
Doch die Umstellung stellt die meisten Kindertagesstätten der Psychologin Bockmann zufolge wohl noch vor etliche Herausforderungen. Die Rahmenbedingungen machten es den Erziehern oft schwer, Sprachförderung und Sprachbildung umzusetzen. Darauf im Alltag zu achten, sei noch anspruchsvoller, als in besonderen Unterrichtsstunden, denn die Erzieher müssten die Strategien immer im Kopf haben und geeignete Sprachinseln schaffen. Aufgrund des Fachkräftemangels fehle in den Einrichtungen allerdings oft die Zeit für angemessene Fortbildungen. "Unter dem Druck, der in den Kitas herrscht, ist es nicht einfach, das Gelernte auch im Alltag durchzuhalten."
Bockmanns Einschätzung spiegelt sich auch in der Statistik wider: In Niedersachsen ist der Bedarf an Erziehern und Sozialassistenten der Agentur für Arbeit zufolge erheblich gestiegen. Die Zahl der offenen Stellen habe sich in den vergangenen sechs Jahren verdreifacht. So waren im Jahr 2017 landesweit durchschnittlich 1.278 Stellen unbesetzt.
Die fehlenden Erzieher in den Einrichtungen führten dazu, dass es auch an Zeit für die Sprachförderung der Kinder mangelt, befürchtet Bockmann. "Wenn wir mit den Kindern unüberlegt reden, dann profitieren gerade die Sprachschwachen nicht." Die Gespräche müsse man üben und beispielsweise auch im Video reflektieren. "Das braucht Zeit und Kraft."
Auch in der Hildesheimer Kita ist der Personalmangel zu spüren. Zwar hat das Land jährlich mehr als 30 Millionen Euro für zusätzliche Fachkräfte zugesagt, doch neue Stellen sind nur schwer zu besetzen. Bockmann zufolge sind andere Konzepte notwendig. So müsse der Erzieherberuf besser bezahlt werden, um qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen, fordert die Expertin.
Studien belegten zudem die positiven Effekte der Sprachförderung im Alltag, betont die Psychologin: "Die Kinder reden mehr, drücken sich gewählter aus und haben einen vielfältigeren Wortschatz." Eine entscheidende Rolle spiele nach wie vor aber auch die Sprache der Eltern und die Unterstützung der Muttersprache zu Hause. Von der Sprache hänge der spätere Bildungsweg ab. "Wenn wir das nicht gerade für die Kinder hinbekommen, die daheim nicht ausreichend unterstützt werden, dann kommen wir nicht weiter."
Charlotte Morgenthal (epd)