Startseite Archiv Tagesthema vom 27. Oktober 2018

Licht und Schatten

Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de

Andacht zum 22. Sonntag nach Trinitatis

Ich habe Sehnsucht nach einem Leben, das gelingt, so ähnlich wird jemand denken, vermute ich, der sonntags zur Kirche kommt. Sehnsucht nach einem Leben, das ehrlich und hilfreich geführt wird. Aber noch mehr: nach einem Leben, das dann auch irgendwie heile wird, in dem sich die Teile des Erlebten zu einem Ganzen zusammensetzen. Wo die Annahme von Gott zu spüren ist, und wo sich dieses Annehmen in ein Angenommensein wandelt, von dem wir leben können und unser Leben gestalten. Mit dem, wie wir sind und mit dem, was wir werden können.

Das Wollen habe ich wohl, schreibt Paulus nach Rom, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Dies ist erst einmal eine menschliche Gegebenheit. Gute Worte wollte ich finden, doch ich habe wieder gleich losgeschimpft. Oder: Mich mit Haut und Haaren dem Berufsleben verschreiben will ich nicht, doch habe ich mich wieder rumkriegen lassen, die Überstunden zu machen. Die Erfahrung, dass da zwei Kräfte in uns wirken, und wir oft diejenige wählen, die wir eigentlich nicht wollen, ist eine zutiefst menschliche.

Das geht dann noch weiter in den Bereich der persönlichen Schuld hinein. Ich wollte mit meinem Verhalten nicht die Familie zerstören, aber ich habe es getan. Nun leben wir getrennt. Eine sehr ehrliche Aussage. Wir lieben unsere Umwelt und die Natur, und schädigen sie doch mit unserem Verhalten. 

Bei allen guten Erfolgen gehört zum Menschsein die Wahrnehmung des inneren Zwiespaltes dazu. Erst wer davon authentisch reden kann, wirkt lebensnah. Die dunkle Seite der Seele und auch der Menschheit bleibt in allem wirksam, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, in der Kirche, in uns selber. Sie nur bei den anderen zu verorten, offenbart, nur den blinden Fleck in der eigenen Wahrnehmung. Deshalb ist der Text des Paulus wahnsinnig aktuell, er berichtet von Licht und Schatten der Lebenswirklichkeit.

Die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben umfasst den Glauben wie den Zweifel, die Gottnähe wie das Fernsein Gottes. Und setzt darin eine Bewegung in Gang, die immer wieder vom Unglauben zum Glauben, und vom Glauben zur Liebe führt. Mich abholen, wo die Liebe nicht gelingt, und wo ich dies im Glauben annehme. Um dann im wiedergewonnenen Glauben neu zur Liebe zu finden. Gut und Böse eingebunden zu verstehen in den großen Zusammenhang der Schöpfung, wo die alte Zeit noch da ist und schon von der neuen Zeit umfasst und verwandelt wird.

Also doch noch gute Worte finden, mich nicht zu allem auf der Arbeit zwingen lassen, auch in einer getrennt lebenden Familie zusammenhalten. Und gleichzeitig um die eigenen Grenzen zu wissen, um die Vorläufigkeit allen scheinbar so richtigen Verhaltens. Realistisch und kritisch sich selber gegenüber zu bleiben und in allem nie aufgeben, das Schlechte, so es denn zu erkennen ist, zu meiden und das Gute, wo wir es erahnen, erhoffen, auch zu suchen.

Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn, schreibt Paulus zum Schluss des Bibeltexts. Und wir können versuchen hinzuzufügen, wie dies bei ihm gedacht ist. Dieser Jesus Christus muss immer wieder in unser Herz einziehen, muss die Erfüllung dieser Sehnsucht nach gelingendem Leben werden. 

Ein Leben mit der Sehnsucht nach Gottes Nähe kann einen immer wieder herausholen aus der Orientierung am eigenen Ich und seiner Bestätigung in der Welt, auch einfangen von dem religiösen Wahn, genau zu wissen, was Gott vorschreibt. Das ist eine ganz neue Qualität von Freiheit. Ein solches Leben wird uns realistischer, lebensnaher machen und zugleich frommer, gottnaher. Wird Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft verbinden, wird eine Kirche bauen, die Menschen und ihre Lebensschicksale in ihre Mauern holt und ihnen ihre Geschichten neu erzählen lehrt.

Damit sie trotz vielem Scheitern auch vom Gelingen berichten, wo sich aus vielen Fetzen und Teilen plötzlich doch ein großes Ganzes erkennen lässt. Wo zu sehen ist, wie selbst aus der Sünde, der Gottferne, ein Sehnen nach Gottes Nähe und Zuwendung entsteht. Wo ich mit all meinen Mühen und Wünschen und Unzulänglichkeiten und Fehlschlägen zur großen Familie Gottes gehöre. Wo wir auch an diesem Sonntag in der Kirche mit Paulus sagen können: Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

Pastor Ralf Reuter
Bild: Free-Photos/pixabay.com

Der Bibeltext

Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.
Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt: Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an. Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!
So diene ich nun mit dem Verstand dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.

Röm.7, 14-25a

bibel_blumen
Bild: Wiebke Ostermeier/lichtemomente.net

Der Autor

Pastor Ralf Reuter