"Ich bin nicht religiös, ich bin normal"
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In Loccum sprachen Religionslehrer aus allen Teilen der Landeskirche über die besonderen Herausforderungen ihrer Tätigkeit
„Ich habe hier so gut wie keinen Teilnehmer getroffen, der nicht mit seinem Fach in Reibung kommt“, betont Dr. Barbara Hanusa. „Reibung bekommt man als Lehrer dieses Fachs meistens mitgeliefert.“ Die Pastorin und Pädagogin sitzt im Garten des Religionspädagogischen Instituts in Loccum (RPI) und macht sich Gedanken über die Situation von Religionslehrern und die Zukunft des Fachs.
Es ist Mittagspause und Halbzeit bei einer dreitägigen Tagung hier im RPI, die Religionslehrer und weitere Interessierte aus allen Teilen der hannoverschen Landeskirche zusammenführt. Veranstaltet wird diese Tagung von dem Dozentenkollegium des RPI unter der Leitung der Rektorin PD Dr. Silke Leonhard. Der Veranstaltungstitel lautet „Ich bin nicht religiös, ich bin normal – Religiöse Bildung heute“ und macht bereits deutlich: An vielen niedersächsischen Schulen sind Kirchenmitglieder inzwischen in der Minderheit – nicht nur unter Schülern, sondern auch unter den Lehrern.
Dementsprechend besitzt der Religionsunterricht heute ein Spannungspotenzial, das häufiger zu Reibungen mit Schülern, Eltern und Kollegen führt. Viele Lehrer berichten bei der Tagung davon. Den Religionslehrern an ihrer Schule wird von manchen Kollegen Missionierung vorgeworfen, erzählt eine Betroffene. „Dabei kommt die intolerante, missionierende Haltung eher von diesen Kollegen.“
Barbara Hanusa kennt das Problem. Sie ist Beauftragte für Kirche und Schule im Sprengel Lüneburg und nimmt an dieser Fortbildungstagung teil. In ihrer Tätigkeit begleitet und berät sie Religionslehrer. Im Schulalltag gibt es an einigen Einrichtungen eine gewisse Konkurrenz zwischen Religionslehrern sowie Pädagogen, die das Fach Werte und Normen unterrichten, berichtet sie. Manchmal geht es um das Abwerben von Schülern für diese Wahlfächer, manchmal um Fragen des Weltbildes.
Schon viele Lehramtsstudenten müssen sich für ihre Wahl von Religion als Unterrichtsfach vor Kommilitonen rechtfertigen, sagt Hanusa. Bei zu gemeindenahen Veranstaltungen des Reli-Unterrichts, etwa in Kirchenräumen, laufen wiederum so manche Eltern Sturm. Barbara Hanusa rät betroffenen Lehrern, die Kritik nicht persönlich zu nehmen. Sie sollten den Austausch mit Eltern und Kollegen suchen. Religionslehrer können sich auch Unterstützung bei Kirchengemeinden vor Ort oder in der Bildungsabteilung der Landeskirche holen.
In der Reibung mit Andersdenkenden sieht Hanusa aber nicht nur ein Problem, sondern auch einen Vorteil: „Reibung erzeugt Spannung und Wärme“, unterstreicht sie. „Es braucht Leidenschaft in der Sache und für die Religion.“ Religionslehrer sollten transparent in ihrer religiösen Haltung sein, empfiehlt Hanusa, die selbst acht Jahre lang eine internationale Privatschule in der Schweiz geleitet hat.
Und auch Silke Leonhard, Rektorin des RPI, bekräftigt: „Nicht die Klage soll im Vordergrund stehen, sondern der Aufbruch als Antwort auf die Herausforderungen.“ Sie betont: „Religiöse Bildung in Kirche und Schule braucht einen klaren Standpunkt und Raum für den Dialog.“
Das ist auch die Position Bernd Schröders. Der Religionspädagoge von der Theologischen Fakultät der Uni Göttingen erläutert in seinem Tagungsvortrag, dass Religionsunterricht den Streit braucht. Diskussionen um die Auslegung der Wirklichkeit sollten hier von selbstbewussten gläubigen Lehrkräften gesucht und nicht gemieden werden, rät Schröder. Es gebe eine sachliche Konkurrenz zum Unterrichtsfach Werte und Normen. Das sei nicht zu leugnen.
Zuvor hatte der Hochschullehrer Zahlen, Studien und Schlussfolgerungen zum Thema Konfessionslosigkeit geliefert – also zu Menschen ohne Kirchenzugehörigkeit. Mittlerweile ist diese Gruppe schon größer als jede Religionsgemeinschaft in Deutschland. Tendenz steigend. In Westdeutschland wird Konfessionslosigkeit durch Kirchenaustritt meist noch aktiv „erworben“, während die Menschen in Ostdeutschland in der Regel schon in ein völlig konfessionsloses Umfeld hineingeboren werden.
Schröder zufolge sind die wenigsten Menschen ohne Kirchenzugehörigkeit gleichzeitig militante Atheisten, sondern einfach religionsfern. Kirche hat für sie kaum Bedeutung im Alltag. Das gilt aber auch für eine große Zahl formal evangelischer Jugendlicher, erläutert der Experte. Studien zufolge ist auch für die Mehrheit unter ihnen der Glauben für die alltägliche Lebensführung irrelevant. Beispielsweise beten in Westdeutschland 74 Prozent der 14- bis 21-Jährigen nie.
In einer Gesellschaft, in der Konfessionslosigkeit wächst, wird Christentum wieder strittig, sagt Schröder. „Genau diese Anstößigkeit ist aber auch der Clou.“ Religionsunterricht könne keine konfessionslosen Schüler zum christlichen Glauben „zurückholen“, betont der Theologe. Das Fach sei jedoch stark als Forum zur Diskussion von Wert- und Daseinsfragen. Private Debatten müssen in diesen öffentlichen Raum geholt werden. Dort kann gezeigt werden, was die religiöse Weltdeutung wichtig macht.
Ein religiöses Leben ist für junge Menschen heute keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern nur noch eine Möglichkeit, so Schröder. Das müsse der Religionsunterricht erkennen und nutzen, anstatt der schrumpfenden Zahl von Christen nachzutrauern. Die Konfessionslosen zeigen, dass ein Leben ohne Religion möglich ist. Der Religionsunterricht müsse hingegen zeigen, dass ein Leben mit Glauben bereichernder ist.
„Unterrichten wir eine Religion, die nur im Kopf oder auch im Alltag stattfindet?“ sagt Barbara Hanusa. Religionslehrer müssten den praktischen Mehrwert ihres Glaubens immer wieder hervorheben. Dieser sei beispielsweise in der Schulseelsorge zu sehen. Bei Trauerfällen und anderen Momenten der Sprachlosigkeit sind es oft die Religionslehrkräfte, die angefragt werden und eine Sprache finden, unterstreicht Hanusa, die drei Jahre lang als Schulpfarrerin gearbeitet hat.
Ein weiterer Wert liege in der Widerstandskraft des christlichen Glaubens. Kinder, die mit Gott aufwachsen, sind unabhängiger vom steigenden Leistungsdruck unserer Gesellschaft, erklärt sie. Zudem ist der christliche Gedanke der Solidarität mit Hungernden und Schutzsuchenden wichtig. Auch dies ist ein praktischer Anknüpfungspunkt der heutigen Zeit.
Übrigens darf auch die Solidarität der Kirchengemeinden mit den Religionslehrern vor Ort gern wachsen, sagt Hanusa. Tagungen wie diese am RPI Loccum sind hierfür schon sehr wertvoll. „Ich hoffe, dass die Kollegen gestärkt nach Hause gehen.“ Der Alltag mit jeder Menge Reibung wartet schon.
Stefan Korinth