Startseite Archiv Tagesthema vom 11. Oktober 2018

Alle Register gezogen

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Studentinnen bringen Grundschülern die Kirchenorgel in ihrem Heimatort spielerisch näher

 „Wie viel kostet eigentlich so eine Orgel?“ Mit der ersten Frage aus Kindermund gleich zu Beginn der Orgelführung haben Isabelle Grupe und Josephine Werth vielleicht nicht gerechnet. Doch gut informiert und souverän erklären die jungen Frauen von „Vision Kirchenmusik“, dass man für das Aufmotzen einer alten Orgel schon mehrere hunderttausend Euro ausgeben kann. „Und der Bau einer ganz neuen Orgel kostet so viel wie mehrere Häuser.“

Die 15 Drittklässler aus der Grundschule Eldagsen sitzen im Altarraum der Kirche und blicken auf die rund 160 Jahre alte Furtwängler-Orgel, die gut sichtbar unter der Decke gegenüber prangt. Kurz zuvor als sie eintraten, tönte die Orgel majestätisch. Kirchenmusikstudentin Isabelle Grupe spielte eine Canzona von Frescobaldi als Begrüßungsstück. Die Jungen und Mädchen schauten erstaunt nach oben. Anschließend applaudierten sie.

Die Jungen und Mädchen dürfen sich am Orgelentdeckertag selbst an dem Instrument ausprobieren. Josephine Werth (hinten) und Isabelle Grupe (rechts) erklären dabei alles nötige. Bild: Stefan Korinth

Bevor die Kinder selbst an das Instrument dürfen, erläutern ihnen Isabelle Grupe und ihre Kollegin Philosophiestudentin Josephine Werth, wie eine Orgel überhaupt funktioniert. Die Schüler lernen: Orgeln bestehen unter anderem aus Holz- und Metallpfeifen. Diese sind unterschiedlich lang und erzeugen dadurch verschiedene Töne. Die Pfeifenlänge wird in Fuß gemessen. Die längste hier in der Kirche misst 16 Fuß. Acht Kinder stellen sich dann Fuß an Fuß hintereinander um die Länge nachvollziehen zu können.

Die Jungen und Mädchen haben bereits im Unterricht verschieden lange Holzpfeifen aus vorgefertigten Bausätzen gebastelt. Nun werden sie von den Studentinnen in Tongruppen eingeteilt. Farbige Klebezettel auf jeder Pfeife ermöglichen die Unterscheidung. Auf Handzeichen der Musikerinnen blasen die Kinder hinein. Gekonnt dirigiert, entsteht so die erste Melodie. „Alle meine Entchen!“, rufen die Kinder. Beim zweiten Stück wird es schwieriger, doch auch das erkennen manche von ihnen: „Der Mond ist aufgegangen“.

Die Drittklässler aus Eldagsen blasen in ihre selbstgebauten Orgelpfeifen aus Holz. Bild: Stefan Korinth

Und dann geht es auf schmalen Holztreppen auf zur Empore. „Warum hängt da ein Spiegel über dem Platz des Organisten?“, fragen die ersten Kinder oben angekommen. „Damit ich mich vor dem Spielen schön machen kann“, antwortet Isabelle Grupe augenzwinkernd. Nein, in Wirklichkeit dient der Spiegel dazu, den Pastor im Gottesdienst hinter sich zu sehen, erklärt sie den Kindern.

Und noch etwas ist komisch. Grupe zieht alte Ballerinaschuhe an. „Die Orgel kann man auch mit den Fußpedalen spielen“, sagt sie. „Mit den groben Straßenschuhen treffe ich aber manchmal mehrere Pedalen gleichzeitig.“ Natürlich muss sie genau das einmal vormachen. Die Kinder freut es.

Dann gibt es da noch die Register. Seitlich neben dem Sitzplatz stecken reiheinweise Holzknaufe die bezeichnet sind mit Namen wie Spitzflöte, Quinte oder Prinzipal. Jeder Knauf lässt sich ein Stück weit herausziehen. „Das sind die Register. Mit denen bestimme ich den Klang und die Lautstärke“, erklärt Grupe. Das Sprichwort „Alle Register ziehen“, kennen die Kinder zwar nicht. Doch sie wollen wissen, was passiert, wenn man das tut.

„In einem Konzert zieht man nie alle Register, denn dabei kommt nur ein Klangbrei heraus“, sagt die Musikerin. Doch das hier ist ja kein Konzert. Also: „Das wird laut“, kündigt sie an. Alle halten sich die Ohren zu. Tatsächlich ist das Spiel lauter als zuvor, doch die Kinder scheinen mit Schlimmerem gerechnet zu haben.

Dann dürfen auch sie an das Instrument. Vorsichtig drücken sie die Pedalen und ziehen die Register. Und zum Abschluss spielen sie hier oben dirigiert von Josephine Werth nochmal „Der Mond ist aufgegangen“ auf ihren Holzpfeifen. Eindeutig haben die Kinder viel entdeckt in dieser besonderen Schulstunde.  Nicht nur die Orgel ihres Heimatortes, sondern vielleicht auch ein neues Hobby. 

Stefan Korinth
Josephine Werth und Isabelle Grupe auf der Orgelempore. Bild: Stefan Korinth

Vision Kirchenmusik

Nachwuchs gewinnen, Stellen erhalten, Vielfalt fördern – das sind die Ziele, die sich die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers für die Zukunft der Kirchenmusik gesetzt hat. VISION KIRCHENMUSIK reagiert darauf, indem es als bundesweit einzigartiges Modellprojekt Musikvermittlung im kirchlichen Bereich initiiert und etabliert.

VISION KIRCHENMUSIK möchte besondere Begegnungen mit Kirchenmusik ermöglichen, die Resonanz erzeugen und bestenfalls Initialzündung sind für langfristige Beziehungen. In Zusammenarbeit mit Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern sowie weltlichen Projektpartnern werden Konzepte entwickelt, die Kirchenmusik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und neue Menschen für Kirchenmusik begeistern. VISION KIRCHENMUSIK setzt damit einen Innovationsprozess in Gang, der die kirchenmusikalische Breitenarbeit stärkt und weitentwickelt, innovative Impulse für die Vermittlung hochkultureller Konzertangebote gibt und mit neuen Formen und Formaten von Kirchenmusik experimentiert. Dies geschieht in einem breit aufgestellten Programm aus drei zentralen Handlungsfeldern:  Forschung durch künstlerische Praxis, Fortbildungen und Lehrveranstaltungen und Netzwerk- und Kommunikationsarbeit.