Mut und Dankbarkeit
Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de
Zwei Unternehmerinnen berichten, warum Ehrenamt für sie nicht „umsonst“ ist
„Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ (Offenbarung 21,6 (L)) – Mit der aktuellen Jahreslosung der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für das Bibellesen im Gepäck hat Landessuperintendentin Birgit Klostermeier zwei Frauen getroffen, die sich auf unterschiedliche Weise ehrenamtlich für die evangelische Kirche einsetzen: Dagmar zur Nedden aus Melle wurde 1970 in den Kirchenvorstand Oldendorf gewählt. Sie ist seitdem Mitglied des Kirchenkreistages und seit 1994 Mitglied des Kirchenkreisvorstandes Melle, heute Melle-Georgsmarienhütte. Im kommenden Januar endet ihre Amtszeit. Ab 2003 war sie fünf Jahre lang berufenes Mitglied in der hannoverschen Landessynode. Die 43-jährige Thelse Godewerth aus Bad Rothenfelde engagiert sich seit zwei Jahren im Steuerungskreis des Kirchenkreises. Sie sitzt außerdem im Aufsichtsrat der DIOS-Diakonie Osnabrück Stadt und Land gGmbH. Beide sind in mittelständischen bzw. großen Unternehmen tätig: die 77-jährige Dagmar zur Nedden als Seniorchefin der Westland Gummiwerke in Melle, Thelse Godewerth als weltweite Personalleiterin bei der Hamburger Eppendorf AG.
Thelse Godewerth und Dagmar zur Nedden sind beide berufstätig, beide haben Familie. Wie kam es dazu, dass sich die Frauen trotzdem für ein Ehrenamt interessiert haben? Über diese Frage sprechen die beiden in Melle mit der Osnabrücker Regionalbischöfin Birgit Klostermeier. Thelse Godewerth berichtet aus ihrer Jugend in Bad Rothenfelde. Schon damals, als Konfirmandin, habe sie viel ehrenamtlich gemacht – vom Jugendzeltlager bis zur Teestube. Nach einer Phase des Studiums und der Familiengründung ist die 43-Jährige 2016 als Mitglied der Visitationsgruppe wieder mit dem kirchlichen Ehrenamt in Berührung gekommen – und geblieben.
Klostermeier: Wenn wir uns bei der Jahreslosung einmal auf das Wort „umsonst“ konzentrieren – haben oder hatten Sie manchmal das Gefühl, Ihr Ehrenamt sei umsonst, also: vergeblich gewesen?
Godewerth: Ich muss sagen: Man hinterfragt das gar nicht. Es ist für mich Teil meiner Identität. Ich bin so aufgewachsen, dass man immer wieder einmal über den Tellerrand hinausschaut, dass man etwas zurückgibt. Ich bin sehr dankbar für das, was ich bekommen habe, und da ist es selbstverständlich, selber etwas zu geben. Außerdem schließen sich so viele Kreise – das Gespräch jetzt hier zum Beispiel, das ist doch ein Gewinn, eine persönliche Bereicherung!
Zur Nedden: Bei mir ist es auch die Sozialisation. Meine Familie stammt aus dem Baltikum. Wir besaßen dort ein Gut. Nach der Umsiedlung 1939 wurde ich 1941 in Warthegau geboren. Knapp vier Jahre später, als die russische Front näher rückte, musste meine Mutter mit meinen vier Geschwistern und mir fliehen. Mein Vater blieb bis 1948 in Kriegsgefangenschaft. Über Schaumburg/Lippe kamen wir dann 1951 nach Melle. Nach dem Abitur habe ich mein Studium zur Grundschullehrerin begonnen. Ich gab es auf, als ich mit 21 Jahren meinen ersten Ehemann heiratete, den Unternehmer Claus zur Nedden. Nach meiner unruhigen, kargen Kindheit erfuhr ich ein wohlbehütetes Leben. 1970 wurde ich dann in einem Gottesdienst angesprochen, ob ich mich nicht in der Kirchengemeinde engagieren und für den Kirchenvorstand kandidieren wolle. Ich war sofort dabei, die diversen Ämter haben mir sehr viel Freude bereitet, von der untersten Etage (lacht) bis zum Kirchenkreis- Vorstand und der Landessynode.
Dann kommt das Jahr 1978. Es wird für Dagmar zur Nedden zum Schicksalsjahr. Ihr Ehemann Claus stirbt nach mehrmonatiger Krankheit an den Folgen eines Gehirntumors. Die damals 37-Jährige wird quasi über Nacht alleinige Geschäftsführerin der Westland Gummiwerke in Melle-Westerhausen. Durch den Tod ihres Mannes bricht für die Mutter zweier Söhne eine Welt zusammen. Sie trägt plötzlich Verantwortung für rund 400 Mitarbeiter. „Jesus fordert nichts von uns, ohne uns die Kraft zu geben, es auch zu tun“ – dieses Zitat von Dietrich Bonhoeffer habe sie damals aufrechterhalten, sagt Dagmar zur Nedden heute. In den Folgejahren lernt sie die Geschäftswelt kennen. 1995 steigt zur Neddens Sohn Georg mit in die Unternehmensführung mit.
Zur Nedden: „Frau zur Nedden, meine Herren“ – wie oft habe ich diesen Satz in meinen Anfangsjahren als Unternehmerin in vielen industriellen Gremien gehört. Eine Frau in den obersten Chefetagen war damals kaum vertreten - das hat sich Gott sei Dank inzwischen etwas geändert. Es gibt keine Autobahn, die ich noch nicht gefahren bin. Wenn ich um zehn Uhr einen Termin in Augsburg hatte, dann habe ich eben auf der Fahrt dorthin im Auto geschlafen, und abends war ich wieder zu Hause. Oder auf einer Dienstreise nach Australien: da habe ich vor der Tür ein Stoßgebet gesprochen: „Lieber Herrgott, lass das gut gehen!“
Klostermeier: Sie beide gehören unterschiedlichen Generationen an. Und es scheint fast, als hätten Sie, ohne sich zu kennen, einen gemeinsamen Nenner: Werte sind Ihnen wichtig. Eine klare Orientierung. Und Mut, dafür einzutreten und gegebenenfalls den Preis dafür zu zahlen. Was meinen Sie, was unterscheidet Sie denn voneinander, als Ältere und Jüngere?
Zur Nedden: Meine damalige Situation war eine besondere. Ich wurde ganz ungeplant, ohne Ausbildung, regelrecht gestoßen - das war vor vierzig Jahren. Ich glaube, dass das heute bei der Komplexität der Firma nicht mehr gehen würde.
Godewerth: In Deutschland gibt es den Begriff „berufstätiger Vater“ nicht – den Begriff „berufstätige Mutter“ aber schon. Ich war als Mutter immer auch berufstätig, so wie meine Mutter als Lehrerin ebenfalls. Meine Töchter wurden während meines Studiums geboren und ich habe anschließend gleich Vollzeit gearbeitet. Das ging mit einem guten Netzwerk aus Familie – ansonsten war man als Frau da oftmals außen vor. Da hat niemand proaktiv gesagt: „Soll ich Deine Kinder mit aus dem Kindergarten abholen?“ Ich glaube, das wird es in kommenden Generationen nicht mehr geben.
Die Töchter von Thelse Godewerth sind heute 17, 20 und 21 Jahre alt. Die mittlere von ihnen ist die Tochter eines Onkels, der starb, als das Mädchen fünf Jahre alt war. Seitdem lebt sie in der Familie von Thelse Godewerth. Der Tod des fast gleichaltrigen Onkels war damals für die gesamte Familie ein harter Schlag. „Ich habe damals den Glauben aufgegeben. Mit Gott konnte ich erst einmal nichts mehr anfangen“, sagt Thelse Godewerth im Gespräch mit Dagmar zur Nedden und Landessuperintendentin Birgit Klostermeier. „Wenn wir jetzt den Glauben verlieren, dann hat alles keinen Sinn mehr“, habe ihre tief traurige Großmutter damals gesagt, berichtet die 43-jährige ehemalige Unternehmensberaterin. Langsam, im Weitergehen und Weiterleben sei das Vertrauen zurückgekommen.
Klostermeier: Sie beschreiben beide eine Haltung, die in beruflichen Prozessen oder auch in familiären Krisensituationen notwendig und vor allem hilfreich ist. Was trägt Sie?
Zur Nedden: Ganz klar: Für mich ist das der Sonntagsgottesdienst! Diese eine Stunde ist für mich wie eine Tankstelle. Das Gebet und der immer wieder reflektierte Satz: Jesus fordert nichts von mir, ohne mir auch die Kraft zu geben, es zu tun.
Godewerth: Es ist auch eine Vision. Die Vision: ich habe einen Beitrag zu leisten, und ich bin zur Dankbarkeit verpflichtet. Als mein Mann und ich damals die Tochter meines Onkels in unsere Familie aufgenommen haben – das war so eine Situation. Und ich weiß: ich werde von meiner Familie geliebt, und ich liebe meine Familie. Dafür bin ich dankbar und ich glaube fest: „Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand." Aber darüber verliert man keine Worte. So bin ich aufgewachsen. Das ist diese Art protestantische Bescheidenheit, und das meine ich nicht nur positiv.
Klostermeier: „Darüber verliert man keine Worte“ – nun leben wir in einer Zeit, in der alles öffentlich gemacht werden soll: ob man glaubt, ob man nicht glaubt, was man glaubt. Für den Glauben fehlt, so habe ich den Eindruck, aber oft die Sprache. Dann redet man lieber nicht darüber...
Godewerth: Was macht man alles nicht... Im Englischen spricht man von der „can do attitude“ – also übersetzt: „einfach mal machen!“ Wenn man nur aus der Angst heraus agiert, dann verliert man an Selbstvertrauen. Das ist übrigens auch etwas, das ich der evangelischen Kirche wünsche: mehr Selbstvertrauen! Dann gehen vielleicht einige, aber die, die bleiben, die sind auch aus voller Überzeugung dabei.
Katharina Lohmeyer