„Armutsfallen für Frauen – und was sich ändern muss“
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Expertin fordert Geld für engagierte Ehrenamtliche
Pastorin Cornelia Coenen-Marx referiert auf dem „Tag der Frauen“ zum Thema Ehrenamt. Sie ist Geschäftsführerin der Agentur „Seele und Sorge – Impulse, Workshops, Beratung“.
Frau Coenen-Marx, der „Tag der Frauen“ hat das Thema „Armutsfallen“. Kann das Ehrenamt bei der Kirche eine Armutsfalle sein?
Coenen-Marx: Ja, leider, kann es. Diese Falle droht vor allem bei Frauen, die mit großer Selbstverständlichkeit bei der Kirche engagiert sind und gar nicht darüber nachdenken, ob sie sich das ökonomisch überhaupt leisten können. Da geht für die Rente erst Zeit verloren während der Sorge für die Kinder und wenn die Kinder in Tageseinrichtung und Schule sind engagieren sie sich weiter in Schule, Sportverein und Gemeinde. Manche gehen in Teilzeit, um mit der Dreifachbelastung klar zu kommen, andere merke nicht rechtzeitig, dass sie beruflich Prioritäten setzen müssen, um die eigene Altersversorgung zu sichern. Kirche und Diakonie leben bis heute von diesen ehrenamtlichen Frauen, die sich oft selbstvergessen für andere einsetzen.
Was erwarten Sie von Kirche und Diakonie?
Coenen-Marx: Das Wichtigste ist: Geld darf kein Tabu sein. Und manchmal braucht es eine Ermutigung zum Einstieg in den Beruf. Auch Kirchengemeinden sind in der Pflicht hinzusehen , wie es denen geht, die sich ehrenamtlich engagieren. Grundsätzlich gilt: Kirche und Diakonie müssen sich viel stärker dafür einsetzen, dass ehrenamtliche Arbeit auf die Rente angerechnet wird.
Muss ehrenamtliche Arbeit von der Kirche künftig bezahlt werden?
Coenen-Marx: Nein, nicht grundsätzlich. Allerdings wird ja schon bezahlt. Für Pastoren im Ruhestand, die einen Gottesdienst halten, fließt Geld. Besonders qualifizierte Mitglieder in Kirchenvorständen, etwa Juristen oder Architekten bekommen in einigen Fällen eine Entschädigung. Da muss man schon fragen, bekommen da Leute Geld, die es auch wirklich brauchen? Wäre es nicht viel sinnvoller, dieses Geld beispielsweise für eine ehrenamtliche Frau auszugeben, der es finanziell nicht gut geht? Auch Gemeinden können Minijobs anbieten oder Pauschalen zahlen.
Sportvereine bezahlen ja ganz selbstverständlich ihre Übungsleiterinnen. Droht da ein Konkurrenzkampf um Ehrenamtliche?
Coenen-Marx: Den gibt es de facto schon. Sportvereine und Schulen suchen Ehrenamtliche. Sogar Firmen bieten ihren Mitarbeitern an, sich im sozialen Bereich für andere einzusetzen. Ich denke aber, dass dieser Wettbewerb um die Menschen nicht nur am Geld hängt. Da ist auch die Frage, wie ist das Klima, wie werde ich unterstützt? Die Kirche muss in diesem Wettbewerb gute Angebote für Interessierte machen.
Eine generelle Frage zum Ehrenamt. Wer mal mit einer Aufgabe angefangen hat, wird sie oft schwer wieder los. Wie schafft man sich im Ehrenamt den Freiraum, etwas Neues zu tun oder auch aufzuhören?
Coenen-Marx: Im Schnitt sind Menschen bei der Kirche 10,2 Jahre ehrenamtlich engagiert. Und dabei muss für die Ehrenamtlichen eines klar sein: Du musst als Ehrenamtliche gar nichts. Du tust das für Dich, weil es Dir Spaß macht, auch wenn natürlich andere davon profitieren. Jeder Ehrenamtliche darf das Selbstbewusstsein haben, Nein zu sagen. In der Praxis ist das tatsächlich schwierig. Deshalb rate ich dazu, „Ehrenamtsvereinbarungen“ abzuschließen, in denen festgelegt ist, was jemand tut und auch wie lange. Dann kann die Ehrenamtliche zum Beispiel nach einem Jahr sagen, ich will weitermachen oder nicht. Das kann auch der Punkt sein, sich Freiraum für ein anderes Engagement zu schaffen.
Dirk Altwig