Kernige Frauen und lebendige Geschichte
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Pastorin Marion Römer erklärt im Interview wie und warum Frauen heute ins Kloster ziehen
Frau Römer, Sie sind bei der Landeskirche zuständig für die geistliche Begleitung der Klöster und Stifte im Bereich der Klosterkammer Hannover. Wie sind Sie zu dieser Stelle gekommen?
Römer: Ich bin seit 2009 für die theologische Beratung und geistliche Begleitung der Klöster zuständig. Die Klöster haben sich damals bei der Landeskirche dafür starkgemacht, dass die vakante Stelle wieder besetzt wird. Und ich wollte das gern machen. Die Klöster sind wunderbar erhaltene Orte mit Frauenleben. Ich möchte daran mitwirken, dass sie als Orte geistlichen Lebens wahrgenommen werden. Das setzt aber auch voraus, dass die Frauen dort ihr geistliches Leben teilen.
Was heißt das konkret?
Römer: Sie leben als Gemeinschaft auf christlicher Grundlage. Also sie besuchen den Sonntagsgottesdienst, halten eigene Andachten und orientieren sich an christlichen Werten. Aus meiner Sicht stellen sich in Klöstern heute zwei Herausforderungen. Die eine ist das Zusammenleben selbstbewusster Frauen nach dem Berufsleben. Viele von ihnen bringen einen familiären Hintergrund mit. Oft haben sie Kinder und Enkel. Frauen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen kommen hier zu einer gemeinsamen Aufgabe an einem Ort zusammen, ohne sich vorher zu kennen. Die zweite Herausforderung liegt in der Realisierung christlichen Lebens heute. Die Orte selbst sind dabei zwar sehr hilfreich. Aber die überlieferte Tradition muss auch mit den dort Lebenden zusammenkommen. Zum Beispiel haben die Frauen im Kloster Lüne seit einigen Jahren die Feier der Vesper am Freitag wiederbelebt. Sie wird ökumenisch gestaltet und wurde mit der Kirchengemeinde zusammen initiiert und auch eingeübt. Diese Tradition haben die Frauen für sich richtiggehend wiederentdeckt. Ein weiteres Beispiel sind die Chorstunden im Kloster Medingen. Die Singtreffen auf dem Damenchor zu besonderen Ereignissen wurden hier über viele Jahrhunderte bis heute beibehalten. Oder im Kloster Barsinghausen: Die kleine Gemeinschaft dort feiert dreimal täglich ein Stundengebet. Da sind sogar zwei Frauen von außen dazugekommen und machen mit. Kurz gesagt: Es geht darum, dass die Frauen die gewachsenen Traditionen, ihr Leben und ihre Fragen zum Glauben miteinander in Beziehung setzen können.
Sie haben Ihr Büro im Haus kirchlicher Dienste (HkD) in Hannover. Gleichzeitig begleiten sie die Frauen von 15 Klöstern und Damenstiften, die auf dem Gebiet in der Landeskirche verstreut liegen. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Römer: Ich bin viel auf Reisen. Ich versuche, so oft wie möglich vor Ort zu sein – etwa zu Einkehrtagen, Einführungen, Konventen, Gottesdiensten. Ich führe aber auch viele persönliche Gespräche mit Konventualinnen. Da geht es dann eher um Seelsorge. Gemeinschaftliches Leben ist nicht konfliktfrei. Auch das Zusammenwirken mit den Äbtissinnen und der Klosterkammer gehört zu meinen Aufgaben.
Welche Voraussetzungen müssen interessierte Frauen erfüllen, um in ein Kloster ziehen zu dürfen?
Römer: Sie müssen evangelischen Glaubens und alleinstehend sein – also zum Beispiel geschieden oder verwitwet. Eine gewisse körperliche Fitness sollten sie auch mitbringen. Denn das Klosterleben verlangt einem schon einiges ab und Klöster sind historische Einrichtungen, die nicht barrierefrei gebaut sind. Jede Bewohnerin hat eine eigene Wohnung und muss auch ihren Haushalt selbst führen können.
Wie kommen Frauen heute darauf, in Klöstern leben zu wollen?
Römer: Meistens werden die Interessentinnen über eine Führung oder „Mundpropaganda“ auf das heutige niedersächsische Klosterleben aufmerksam. Viele heutige Konventualinnen sind zufällig mal in einem Kloster gewesen, und haben entdeckt: Die Frauen dort sind ja gar keine Nonnen mit Gelübde. Manchmal entsteht das Interesse bei Frauen aber auch durch Medien – wie etwa die Serie „Kochen mit Leib und Seele“ im NDR. Die Klöster haben heute auch eine andere Öffentlichkeitsarbeit als früher. Trotzdem ist es in der breiten Gesellschaft noch relativ unbekannt, dass es diese lebendige Klosterlandschaft gibt und dass da ganz normale Frauen leben.
Und wie wird eine Frau Konventualin in einem Kloster? Wie läuft das genau ab?
Römer: Der erste Kontakt läuft über die Äbtissin des Klosters. Diese spricht dann gegebenenfalls eine Einladung zu einem längeren Besuch aus, später zu einem Probewohnen. Das ist eine Zeit, in der sich für die Interessentin und den Konvent klärt, ob „man“ zusammenpasst. Ich begleite die Interessentin gerne in diesem Prozess. Ab etwa 55 Jahren überlegen alleinstehende Frauen, wie sie ihr Leben in der dritten Lebensphase gestalten wollen. Für viele Frauen ist es wichtig, aktiv zu bleiben. In Klöstern finden sie ein profiliertes, anregendes Umfeld mit vielfältigen Kontaktmöglichkeiten und Aufgaben. Aber sie leben natürlich auch etwas weniger selbstbestimmt. Man muss kernig sein, aber das Klosterleben hält auch jung.
Wie viele Frauen leben zurzeit in den von Ihnen begleiteten 15 Einrichtungen? Und werden es mehr?
Römer: Derzeit leben etwa 100 Konventualinnen und Kapitularinnen in den entsprechenden Klöstern und Stiften. Die Zahl ist relativ konstant. Ich würde mich wundern, wenn die Entwicklung abbricht. Die Lebensform ist ja durchaus attraktiv. Es gibt viele alleinstehende Frauen. Wir bleiben länger fit und werden immer älter. Gerade für Freiberuflerinnen oder für Frauen in Teilzeitberufen ist das Modell auch interessant. Und auch für hochbetagte Konventualinnen ist gesorgt. Im Kloster Marienwerder bei Hannover können sie im Alter betreut aber selbstbestimmt wohnen.
In welchem Verhältnis stehen die Klöster eigentlich zur Hannoverschen Landeskirche?
Römer: Viele Menschen glauben, die Klöster gehören zur Kirche. Tatsächlich aber gehören alle 15 von mir begleiteten Einrichtungen zum Verwaltungsbereich der Klosterkammer Hannover. Und das ist eine Behörde des Landes Niedersachsen. Zu ihrem 200-jährigen Jubiläum hat die Klosterkammer darum gebeten, dass die Landeskirche bei der Festgestaltung mitwirkt. Dort wird erkennbar, dass die Klöster eigenständige Einrichtungen sind, die aber von ihrem Selbstverständnis her mit dem christlichen Glauben und der evangelischen Kirche verbunden sind. Beteiligt sind von den belebten Frauenklöstern Wienhausen, Mariensee und Wülfinghausen. Sie wurden danach ausgewählt, was sie im Rahmen eines solchen Festes von ihrem Leben im Kloster zeigen und weitergeben können. Interessantes anbieten können. Die Klosterkammer hat großes Interesse, etwas von der Lebendigkeit der Klöster zu zeigen.
Wenn Sie sagen, die Klöster sind eigenständige Einrichtungen: Wie lebendig ist denn dann die Verbindung der Klöster mit den Kirchengemeinden in den jeweiligen Orten?
Römer: In vielen Orten ist die Klosterkirche auch die Gemeindekirche. Es gibt vielfältige Kooperationen zwischen Klöstern und der jeweiligen Kirchengemeinde etwas bei Veranstaltungen. Ich versuche, die Klöster an kirchlichen Entwicklungen teilhaben zu lassen und unsere Wertschätzung für ihren Dienst spürbar werden zu lassen. Denn die Konventualinnen nehmen auch einen kirchlichen Bildungsauftrag wahr: bei Führungen beispielsweise erzählen sie mit der Erklärung der Kunstwerke auch etwas vom christlichen Glauben. So schreiben die Frauen nicht nur die Geschichte dieser Orte weiter, sondern auch die des Glaubens.
Das Interview führte Stefan Korinth