Startseite Archiv Tagesthema vom 22. Mai 2018

Geistliche Leiter mit weltlichen Problemen

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Pastor Peer-Detlev Schladebusch in "ideaSpektrum" über Gemeindeleitung

Wir verfahren uns in der ländlich geprägten Gegend. Als wir endlich ankommen, finden wir auf dem riesengroßen Gelände nur noch einen Parkplatz in der hintersten Ecke. Wir betreten eine Halle, die einem Terminal eines großen Flughafens ähnelt. Rolltreppen führen in den oberen Stock. Wir nehmen im oberen Rang Platz und können aus der Entfernung nicht alles so gut erkennen, was sich auf der Bühne unten abspielt. Endlich erleben wir es selbst einmal: Dabeisein in Willow Creek in South Barrington, Illinois bei Chicago.

Die Entwicklung dieser Gemeinde seit 1975 und ihre internationale Wirkung sind erstaunlich. Ihr Gründer Bill Hybels war 43 Jahre ihr Hauptpastor. Da kann man schon von einem Lebenswerk sprechen. Wenn man den Segen dieser Gemeinde kennt, tun die jüngsten Vorwürfe gegen ihren Gründer weh. Was ist an ihnen dran und was ist üble Nachrede? Es ist müßig, darüber zu spekulieren. Hybels ist jedenfalls ein paar Monate vor dem geplanten Ende seiner Amtszeit zurückgetreten.

Wie kommt es eigentlich, dass große und einflussreiche Gemeinden immer wieder in Krisen geraten? Wer in die Kirchengeschichte blickt, muss feststellen: Einem guten und verheißungsvollen Anfang folgt oft ein Wachstum, aber auch der Verfall bis hin zur Auflösung ist nicht selten. In den Geburtsländern der ersten christlichen Gemeinden wie z.B. im heutigen Libanon, in Syrien, der Türkei und Nordafrika sind immer weniger Christen zu finden. In Europa wurden klösterliche Orden wie die Benediktiner von den Reformorden der Zisterzienser und danach wiederum vom Reformorden der Trappisten abgelöst. Immer wieder Anfang, Wachstum, Verfall und in manchen Fällen dann wieder Neuanfang. Andererseits beobachten wir heute fernab ein enormes Wachstum der Gemeinden wie in Asien, Afrika und Südamerika.

Bild: Peer-Detlev Schladebusch

Wenn wir als Familie im Ausland sind, sehen wir uns gerne viele unterschiedliche Kirchen an und besuchen ihre Gottesdienste. Es gibt viel zu entdecken und zu lernen. Faszinierend ist es, wie wir uns fast überall sehr schnell zuhause fühlen, wenn wir merken, dass Christus das Zentrum und der Grund der Freude ist. Bei vielen Gemeinden zwingt sich mir allerdings bisweilen eine böse Ahnung auf. Wenn ich sie mit ihren bekannten Führungspersönlichkeiten und ihrer Selbstdarstellung erlebe, frage ich mich: Sind diese Kirchen Privatunternehmen einer Familie oder eines Clans, die Älteste und Gemeindeglieder nur als Feigenblatt ansehen?

Es hängt natürlich auch mit der Finanzierung zusammen. Wo es keine äußerlich verbindliche Mitgliedschaft gibt wie bei den kirchensteuerfinanzierten Landeskirchen, muß eine kleine Gruppe haften, managen, Geld einwerben und Finanzen verwalten. Da ist eine eigenmächtige Mittelentnahme- oder verwendung auch keine unrechtmäßige persönliche Bereicherung, sondern nur ein Managementfehler, allerdings oft mit katastrophalen Folgen. So war ich einerseits fasziniert von der Architektur der ehemaligen Crystal Cathedral in Garden Grove (Kalifornien) und andererseits bestürzt über ihren desaströsen Niedergang. Der kleine Anfang, das unvorstellbare Wachstum und das krachende Ende mit mehreren missglückten Nachfolgeregelungen um Robert Schuller und einer Schuldenlast von 44 Mio. Dollar gehören auch zur Kirchengeschichte. Nach der Übernahme durch das katholische Bistum wird das Kirchengebäude nun seit mehreren Jahren völlig entkernt und umgebaut und als Christ Cathedral ab 2019 seine neue Funktion für Orange County erfüllen. Der Enkel Bobby Schuller hat in für die USA vergleichsweise kleinen Verhältnissen als Fernsehpfarrer von Hour of Power im benachbarten Shepherd´s Grove einen Neuanfang gewagt und will alte Fehler nicht wiederholen. 

Auch bei Willow Creek klappte die geplante Nachfolge schon vor Jahren nicht. Es ist in diesen Gemeinden oft wie in Unternehmen: Die Gründerfigur hat Großartiges geleistet, ist aber nicht imstande, eine gute Übergabe zu meistern. Sie macht einfach weiter oder kehrt immer wieder zurück. Ein Lebenswerk wird so oft durch Streit und Nichtigkeiten zerstört. Vor allem erleiden aber auch Menschen im nahen und weiteren Umfeld Schaden. Ähnliches erleben wir auch in Kirche und Diakonie. Menschliche Fehler und Schwächen werden durch einen hohen geistlichen Anspruch verdeckt. Wieviele Menschen haben sich deshalb schon vom Glauben abgewandt! Das ist der größte Schaden, der überhaupt entstehen kann.

Bild: Peer-Detlev Schladebusch

Haben wir geistliche Leiter überhöht? Lieben wir die Großveranstaltungen mehr als unsere eigene kleine Gemeinde vor Ort?  Event hopping ist auch ein beliebter Christensport geworden. Natürlich ist es ein unvergessliches und aufbauendes Erlebnis, in einer großen Schar miteinander Loblieder zu singen, tolle Bands und mitreißende Prediger zu erleben. Es ist aber nicht der Alltag des Christentums. Die Bewährung des Glaubens ist oft mit Niederlagen und Scheitern verbunden. Wie nötig immer wieder Neuanfang und Neuorientierung sind, zeigt mit die Nachfrage des Angebots Beratung-Coaching-Seelsorge beim Kongress christlicher Führungskräfte.

Neben dem regulären Kongressprogramm führen wir rund 250 Gespräche, bei der jede Person anonym bleiben kann. Wir haben dabei festgestellt, dass Seelsorge auch in den frömmsten Gemeinden kaum stattfindet oder in Anspruch genommen wird. Die Gründe sind vielfältig: Man möchte anonym bleiben, etwas wirklich deutlich aussprechen, Vergebung und Segen zugesprochen bekommen oder einen unabhängigen Rat und dem Seelsorger oder Berater danach nicht ständig über den Weg laufen müssen. Herausragende Leiter wie Bill Hybels und andere werden auch wegen ihrer Bekanntheit gerne als Seelsorger in Anspruch genommen. Das hat wiederum andere Gründe. Sie stehen immer auch in einer speziellen Versuchung und ihr Handeln und Verhalten wird besonders beobachtet und gewertet. Wann ist da eine Umarmung oder eine andere körperliche Berührung ein sexueller Übergriff? Die Antworten darauf sind unterschiedlich.

Bobby Schuller und Peer-Detlev Schladebusch. Bild: Peer-Detlev Schladebusch

Wenn wir nach der perfekten Gemeinde und dem idealen geistlichen Leiter suchen, müssen wir unwillkürlich scheitern. Die Bibel zeigt uns ihre Führungspersönlichkeiten mit allen ihren Schattenseiten: Jakob der Betrüger, Mose der Totschläger, David der Ehebrecher, Petrus der jämmerliche Verleugner. Gott sucht nicht den perfekten Menschen, sondern kommt in seinem Sohn Jesus Christus, um den Sünder zu begnadigen und in seinen Dienst zu rufen.

Jeder Mensch – auch ein geistlicher Leiter - lebt täglich in einem Spannungsfeld: Ein einzigartiger Gedanke Gottes, sein geliebtes Geschöpf, aber auch böse von Jugend auf und immer wieder Sünder. Jeder Christ lebt von der Barmherzigkeit Gottes. Miteinander sind wir die Gemeinschaft der begnadigten Sünder. Miteinander leben wir aus der Vergebung. Bei allem, was wir verbocken: Wir sind es schuldig, auch einander einen Neuanfang zu ermöglichen. Vergebt einander wie auch euch vergeben ist!

Peer-Detlev Schladebusch Pastor für Führungskräfte der Wirtschaft, Spiritual Consulting, Ev.-luth. Landeskirche Hannovers in "ideaSpektrum", 17.2018
Bild: Peer-Detlev Schladebusch

Der Autor

Peer-Detlev Schladebusch entwickelte mit Ralf Reuter das Projekt Spiritual Consulting für die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Sie begannen 2004 mit einem Büro im Haus kirchlicher Dienste in Hannover und bauten die Arbeit mit Führungskräften der Wirtschaft neben der seelsorgerlichen Begleitung zu einem eigenständigen Arbeitsfeld mit den Bereichen Coaching, Consulting und Spiritualität auf. 

Schladebusch ist Pastor der Hannoverschen Landeskirche für Führungskräfte und Unternehmensleitungen. Seit 2009 ist er in Doppelfunktion zusätzlich beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt als Pastor für Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt zwischen Hamburg und Wolfsburg mit Büros in Celle, Lüneburg und Wolfsburg tätig und organisiert wirtschaftsethische Diskussionen und Kongresse. Dabei pflegt er intensive Kontakte zu Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen.

Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen neben dem Coaching und den Retraiten in Klöstern in der aktiven Begleitung von Change- und Nachfolge-Prozessen in Unternehmen unter Berücksichtigung der Dimensionen von Personal Values, Corporate Values und Public Value. International leitet er Pilgertouren für Führungskräfte und initiiert Begegnungen von Vorständen und Aufsichtsräten mit anderen Institutionen, Organisationen und Verbänden zum Themenfeld Kultur, Ethik und Strategie.

Peer-Detlev Schladebusch ist Autor zahlreicher Beiträge in wirtschaftlichen und theologischen Fachbüchern und Zeitschriften sowie Redner bei Wirtschaftstagungen und –kongressen.

www.spiritual-consulting.de
Pastor Peer-Detlev Schladebusch

Spiritual Consulting in der Landeskirche

Persönliche Ansprache, Wertschätzung, vertrauliche Begleitung, ethische Beratung, aber auch die Erfahrung von Spiritualität in Klöstern und auf Pilgertouren machten Spiritual Consulting bei Führungskräften der Wirtschaft und Unternehmensleitungen bekannt.

Nach Anfängen im Osnabrücker Land starteten die Pastoren Ralf Reuter und Peer-Detlev Schladebusch im Jahr 2004 ein innovatives Projekt. Sie bekamen von der Synode der Hannoverschen Landeskirche den Auftrag, ein profiliertes kirchliches Angebot für den Führungsbereich der Wirtschaft zu entwickeln.

Inzwischen hat sich Spiritual Consulting zu einem etablierten Arbeitsfeld der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland entwickelt. Vorstände und Geschäftsführungen, Manager und Unternehmer nutzen die unterschiedlichen Formen und Angebote.