Jeder Stein erzählt Geschichten
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In Niedersachsen ist die Tradition evangelischer Frauenklöster besonders lebendig
Die Holzdielen knarren, als Dagmar Gentner den Flur im ersten Stock des evangelischen Frauenklosters Isenhagen entlang geht. In Nischen und an den Wänden stehen Schränke und Truhen, die Bewohnerinnen in vergangenen Jahrhunderten zurückgelassen haben. "Ich war schon bei meinem ersten Besuch hier wie verzaubert", sagt die schlanke Frau mit dem Pagenkopf und deutet durch das Fenster auf den Innenhof mit dem großen Catalpa-Baum. "Es ist wie in einer anderen Welt, jedes Detail, jeder Stein erzählt Geschichten."
Seit Januar lebt die 66-Jährige in dem Kloster bei Gifhorn. Für ihren Ruhestand hat sie ein besonderes Lebensmodell gewählt. Nach einer Probezeit will sie der Gemeinschaft von derzeit fünf Klosterdamen beitreten.
Nirgendwo in Deutschland ist die Tradition der evangelischen Klöster lebendiger als in Niedersachsen. Die meisten von ihnen gingen aus mittelalterlichen Ordensgründungen hervor. 15 von ehemals mehr als 200 Frauenklöstern im Land betreut heute die Klosterkammer Hannover. "Das Besondere daran ist, dass sie alle noch belebt sind und es über die Jahrhunderte hinweg auch immer waren", sagt Kammerpräsident Hans-Christian Biallas. "Wir sind uns dieses besonderen kulturellen und christlichen Erbes sehr bewusst und stolz darauf, es bewahren zu dürfen."
Die Klosterkammer wurde am 8. Mai 1818 vom welfischen Prinzregenten Georg von Hannover (1762-1830) gegründet. Ihre Aufgabe war die Verwaltung früherer Kirchengüter, die in der Reformationszeit säkularisiert worden waren. Heute eine Landesbehörde, feiert die Klosterkammer am 8. Mai ihr 200. Jubiläum. Sie würdigt dabei auch die Tradition der Frauenklöster - etwa mit der Ausstellung "Schatzhüterin", für die das Landesmuseum in Hannover Schätze aus den Klöstern ausgeliehen hat.
Aus Isenhagen ist dort unter anderem die Stiftungsurkunde des Zisterzienserklosters von 1243 vertreten. 1265 wurde es zum Nonnenkloster und 1540 zu einem evangelischen Damenstift. Bei Führungen zeigen Äbtissin Susanne Jäger und die Klosterdamen den Besuchern auch, wie dort früher die Frauen lebten.
Die Äbtissin öffnet die Tür zu einer mit Blumen ausgemalten kleinen Kammer. "Vor der Reformation war es noch enger, danach wurden zwei Räume zu einem gemacht", sagt sie. Komfortabel seien die nur durch Holzwände getrennten Stuben trotzdem nicht gewesen, erläutert Jäger lachend. "Wenn hinten eine Frau geschnarcht hat, hat es die ganz vorne auch gehört."
Heute leben im Kloster verwitwete, geschiedene oder unverheiratete Frauen in jeweils eigenen Zwei-Zimmer-Wohnungen. Wie Dagmar Gentner suchen sie oft nach dem Berufs- und Familienleben eine neue Aufgabe. Lange Zeit hat die studierte Möbeldesignerin und Innenarchitektin in Braunschweig einen eigenen Laden für Lichtplanung geführt. Etwas Sinnvolles zu tun, sei ihr wichtig, sagt sie. Im Kloster haben die Frauen auch Pflichten wie Besucherführungen, die Pflege des Gartens oder die Betreuung des Archivs. "Wir können dazu beitragen, alles hier auch in seiner Bestimmung zu erhalten."
Mit dem mittelalterlichen Bild, das manche im Kopf haben, hat das Klosterleben heute nicht mehr viel zu tun zu tun. "Manchmal fragen Schülergruppen, ob wir denn Telefon haben", sagt Äbtissin Jäger. "Und ich antworte Ja - und auch einen Laptop und Internet-Anschluss." Die Klostertracht mit aufwendig gesteckter Haube tragen die Konventsdamen nur zu Festen.
Und doch verbindet sie etwas mit den Nonnen und Stiftsdamen aus alter Zeit. Dagmar Gentner hat vor dem Mittagessen erstmals die tägliche gemeinsame Andacht geleitet. In einer kleinen Kapelle sprechen die Klosterdamen dabei Gebete, lesen Bibelverse und singen. Ganz ähnlich machten es Frauen im Kloster seit vielen Jahrhunderten, sagt Gentner: "Wir sind Mosaiksteinchen in einem großen Ganzen."
Karen Miether (epd)