Startseite Archiv Nachricht vom 23. April 2018

Orte des Wissens

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Das Landesmuseum Hannover zeigt erstmals Schätze aus niedersächsischen Klöstern.

Die Gläser sind schon etwas zerkratzt, aber sonst ist das Gerät noch in gutem Zustand. Die älteste Brille der Welt, eine Nietbrille aus Buchsbaumholz, bringt es auf 3,4 Dioptrien, war also für Weitsichtige gedacht. Eine Nonne hatte sie im 14. Jahrhundert im Chorgestühl des Klosters Wienhausen bei Celle versteckt - 1953 wurde sie dort bei Renovierungsarbeiten in einer Ritze gefunden.

Jetzt ist das gute Stück im Landesmuseum in Hannover zu sehen, als Teil der neuen Ausstellung "Schatzhüterin" über Niedersachsens Klöster. Für Museumsdirektorin Katja Lembke ist es eines der wichtigsten Exponate: "Die Klosterfrauen waren hoch gebildet und immer auf der Höhe ihrer Zeit."

Handschriften aus Frauenklöstern und alte Brillen. Bild: Jens Schulze

Anlass für die Ausstellung ist das 200-jährige Bestehen der Klosterkammer Hannover. Diese Sonderbehörde des Landes Niedersachsen verwaltet und unterhält rund 20 Klöster, die in der Reformationszeit säkularisiert wurden. In 15 dieser mittlerweile evangelisch gewordenen Klöster und Stifte leben bis heute allein stehende Frauen, insgesamt 130 Klosterdamen, erläutert Kammer-Präsident Hans-Christian Biallas. Mit insgesamt 193 kostbaren Stücken gibt die Schau erstmals einen Einblick in die Lebenswelt dieser Klöster durch die Jahrhunderte.

"Das sind alles Frauenorte", erläutert Museumsdirektorin Lembke. "Sie sind kaum bekannt, aber seit dem Mittelalter Orte der Bildung und des Wissens." Davon zeugt auch eine Nachbildung der berühmten Weltkarte aus dem Kloster Ebstorf bei Uelzen - das Original wurde 1943 zerstört. Eine Darstellung von Christus umspannt dabei alle damals bekannten Erdteile. "Bildung und Glaube sind im Mittelalter kein Widerspruch, sondern eine Einheit", sagt Ausstellungskurator Jens Reiche.

Prof. Dr. Katja Lembke, Direktorin des Landesmuseums Hannover, Hans-Christian Biallas, Präsident der Klosterkammer Hannover und Dr. Jens Reiche, Kurator der Ausstellung „Schatzhüterin - 200 Jahre Klosterkammer Hannover“, vor der Ebstorfer Weltkarte. Bild: Jens Schulze

Den Führungsanspruch der Äbtissinnen der Klöster dokumentiert ein vergoldeter Äbtissinnen-Stab aus dem Kloster Medingen bei Uelzen mit emailgeschmücktem Knauf. Bei Zeremonien im Kloster wird er bis heute benutzt. Neben kleinen Klosterschätzen wie der Brille stehen große wie ein "Propststuhl" aus dem Kloster Lüne in Lüneburg oder ein Äbtissinnen-Stuhl aus dem Kloster Wienhausen. Eine lebensgroße Statue zeigt die Gründerin des Wienhausener Klosters, die 1266 gestorbene Agnes von Landsberg. Die Steinskulptur ist mit rund 370 Kilogramm das schwerste Kunstwerk der Ausstellung.

Der Großteil der Stücke stammt aus den Frauenklöstern der Lüneburger Heide. Diese seien nie besonders reich gewesen und hätten deshalb viele Gegenstände aus Gottesdienst und Lebensalltag gut bewahrt, erläutert Direktorin Lembke. Schränke und Truhen, Hauben und Wandteppiche, ein "Hostieneisen" sowie alte Handschriften, Urkunden und Bibeldrucke zeugen vom Leben hinter den Klostermauern. "Sie sind zum größten Teil an den Orten geblieben, für die sie geschaffen wurden." Viele Exponate sind erstmals außerhalb der Klöster zu sehen.

Äbtissinnenstab von 1494. Bild: Jens Schulze

Die weiteste Reise hat ein überlebensgroßes Porträt des welfischen Prinzregenten Georg von Hannover (1762-1830) hinter sich, des späteren britischen Königs Georg IV.: Es wurde vom Vatikan in Rom nach Hannover gebracht. Georg hatte am 8. Mai 1818 das Patent zur Gründung der Klosterkammer unterzeichnet. Das dreieinhalb Meter hohe Porträt ist das größte Gemälde, das jemals im Landesmuseum aufgehängt wurde.

"In unserer Ausstellung geht es um die Identität des Landes Niedersachsen", sagt Direktorin Lembke. "Und da spielt die Klosterkammer eine ganz wichtige Rolle."

Michael Grau/epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen
Bild von Prinzregent Georg. 100 Jahre nach ihrer ersten Erwähnung besiegelte Prinzregent Georg, der spätere König Georg IV. von Großbritannien, Irland und Hannover, die Gründung der Klosterkammer als eigenständige Behörde. Bild: Jens Schulze

Öffnungszeiten der Ausstellung

Die Sonderausstellung "Schatzhüterin. 200 Jahre Klosterkammer Hannover" läuft vom 20. April bis zum 12. August.

Information: Die Klosterkammer Hannover

Die Klosterkammer Hannover ist eine Sonderbehörde zur Pflege von früheren Kirchengütern unter Rechtsaufsicht des Landes Niedersachsen. Sie verwaltet unabhängig ein Stiftungsvermögen aus ehemals kirchlichem Besitz, der in der Reformationszeit säkularisiert wurde. Dazu gehören unter anderem 20 Klöster, 43 Kirchen und rund 12.000 Kunstgegenstände. Im Blick auf ihre Größe, Geschichte und Struktur ist die Klosterkammer bundesweit einzigartig.

Mit rund 38.000 Hektar Fläche, darunter viel Wald, ist sie der größte nichtstaatliche Grundbesitzer in Niedersachsen. Mit rund 16.500 Erbpacht-Verträgen ist sie zudem der größte Verwalter von Erbbaurechten in Deutschland. Ihre rund 800 Gebäude sind überwiegend hochrangige Kulturdenkmäler, die aus den Erträgen von vier öffentlich-rechtlichen Stiftungen erhalten werden.

Den Grundstock für die Klosterkammer legte die Reformationsfürstin Elisabeth von Calenberg-Göttingen (1510-1558) im Jahr 1542. Mit einer Klosterordnung gab sie den entscheidenden Impuls dafür, dass die ehemals geistlichen Güter erhalten blieben und bis heute getrennt vom Staatsvermögen verwaltet werden. Als Verwaltungsbehörde wurde die Kammer am 8. Mai 1818 vom hannoverschen Prinzregenten Georg (1762-1830) gegründet, dem späteren König Georg IV. Später wurden ihr weitere Stiftungsvermögen übertragen.

Mit rund drei Millionen Euro Fördermitteln fördert die Klosterkammer pro Jahr etwa 200 kirchliche, soziale und bildungsbezogene Projekte. In elf Klöstern und vier Stiften im Verwaltungsbereich der Klosterkammer, vor allem rund um Hannover und in der Lüneburger Heide, leben bis heute kleine Konvente evangelischer Frauen.

epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen
Prof. Dr Katja Lembke, Direktorin des Landesmuseums, führt den Präsidenten der Klosterkammer, Hans-Christian Biallas, durch die Ausstellung. Bild: Jens Schulze