Neugierig sein auf Gott und auf die Menschen
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Andacht zum 2. Sonntag nach Ostern
„Ich glaube, das ist nichts für mich. Ich bin nicht heilig.“ Skeptisch sieht mich mein Gegenüber an. So ähnlich hatte er mich schon angeschaut als ich ihn das erste Mal gefragt hatte, ob er sich nicht vorstellen könne, für den Kirchenvorstand zu kandidieren. Er war mit seiner Familie erst vor knapp zwei Jahren von weiter weg hergezogen und arbeitete als Lehrer an einer weiterführenden Schule.
Auf den ersten Blick - und meist auch auf den zweiten – war er nicht so, wie man sich einen Lehrer vorstellt: Er hatte einen gewagten Kleidungsstil. Und rund um sein Haus sah es immer ein wenig so aus als ob dort gerade ein Flohmarkt veranstaltet würde.
Wenn ich ihn traf, erzählte er viel und gerne und war sehr interessiert an allem, was so im Ort passierte. Mit Kirche, so bekannte er freimütig, sei er bisher außer Taufe, Konfirmation und Hochzeit so gut wie gar nicht in Berührung gekommen. Als Jugendlicher und später im Studium und zum Berufseinstieg seien andere Dinge dran gewesen. Und irgendwie hätten ihm auch die ansprechenden Angebote gefehlt. Auch heute sei sonntags um 10 Uhr einfach nicht seine Zeit. So gegen Abend, das würde besser passen. Und tatsächlich kam er dann zum Abendgottesdienst.
Beim Dorffest sprach ich ihn auf eine Kandidatur für den Kirchenvorstand an. Er lehnte zumindest nicht gleich ab, sondern lud mich ein, doch mal abends vorbeizukommen. Seine jüngste Tochter solle ohnehin noch getauft werden. Da könne man ja gleich auch noch drüber sprechen.
Es wurde ein spannender Abend. Wir haben viel über entscheidende Momente im Leben gesprochen. Darüber, was einem Halt gibt, woran wir uns orientieren können und was wir unseren Kindern auf den Lebensweg mitgeben möchten. Warum Taufe, Konfirmation und Trauung für viele Menschen wichtig sind, auch wenn Kirche und Glaube sonst kaum im Alltag vorkommen. Und wie Kirche für ihn aussehen müsste, damit auch Menschen Mitte 30 oder Anfang 40 öfter kommen.
„Tja, interessant wäre es schon bei Euch mitzuarbeiten. Aber ich weiß nichts vom Gottesdienst und so, kenne diese ganzen Gebete und die meisten Lieder und Eure Kirchenregeln nicht. Ich bin nicht heilig oder wie das bei euch heißt. Und als Kirchenvorsteher muss ich das doch sein und alles wissen, oder?“
Nein, ich fand nicht, dass er das alles wissen musste. Wer in der Kirche Verantwortung übernimmt, muss zuerst mal neugierig sein auf Menschen und auf Gott. Und Mut mitbringen, auch mal ungewöhnliche Wege zu gehen und unbequeme Fragen zu stellen. Klar sind auch Fachkenntnisse notwendig. Aber die kann man lernen. Und Leitung ist immer Teamarbeit. Je mehr unterschiedliche Begabungen zusammenkommen, umso besser.
Am Ende hat er sich bereit erklärt, zu kandidieren. Im kommenden Juni startet er nun schon in seine zweite Amtszeit als Kirchenvorsteher. „Aber es gibt immer noch vieles, was mir nicht so ganz klar ist in der Kirche“, schrieb er mir neulich. Aber das ist ja vielleicht auch ganz gut so.
Pastor Benjamin Simon-Hinkelmann