Startseite Archiv Nachricht vom 30. März 2018

Tränen

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Andacht am Karfreitag

„Wein doch nicht!“ wird das wimmernde Kind in der Nacht getröstet. „Es wird alles wieder gut.“  Wein doch nicht! Das ist oft genug eine vergebliche Aufforderung, denn Tränen lassen sich durch Worte nur schwer verhindern. Nur mühsam lernen wir im Laufe des Lebens, die Tränen zu beherrschen. Weinen ist eine angeborene Fähigkeit. Was wir lernen ist die Unterdrückung des Weinens. Weinen, Heulen, Seufzen, all das muss beherrscht werden. Von Männern - zumindest in unserem Kulturkreis - immer noch mehr als von Frauen. „Wein doch nicht!“

Ganz im Gegensatz dazu empfiehlt als besonders wirksames Heilmittel gegen depressive Zustände und schmerzliche Verluste der Dominikaner Thomas von Aquin „Tränen und Seufzer“ - Weint!

Wir weinen vor Schmerzen,  bei Verlust und Leid. Allerdings auch, wenn man bereut oder büßt, in der Wut, im Himmelhoch-Jauchzen und in der Trübsal des Todes. Manch einen treibt es bei kleinsten Anlässen vor Rührung die Tränen in die Augen, andere weinen so gut wie nie. Dabei weinen Frauen mehr als Männer, und Babys weinen mehr als beide zusammen. Aber weinen tut nur der Mensch.

Um wen und für was haben wir nicht schon geweint? Wir weinten um Menschen, die uns lieb waren und die uns verließen, weinten um Hoffnungen und Träume, die starben. In der völligen Erschöpfung und in der höchsten Wut kamen uns Tränen ebenso wie in der schmerzvollen oder rührenden Erinnerung. Und da man Tränen, anders als die meisten anderen Gefühlsausdrücke,  nicht oder nur sehr wenig steuern kann, gilt das Weinen als Ausdruck des reinsten Gefühls. „Tränen lügen nicht“.

„Höre mein Gebet, Herr, und vernimm mein Schreien; schweige nicht zu meinen Tränen“, bittet der Psalmist. Er geht davon aus, dass tränenreiche Gebete beantwortet werden. Gott soll reagieren auf die Tränen, Mitleid zeigen und eingreifen. Und Gott zeigt Sympathie. Er leidet mit. Zu Hiskia, dem weinenden, kranken König von Juda,  sagt er: “Ich habe dein Gebet gehört, ich habe deine Tränen gesehen. Siehe, ich will dich heilen“. Tränen beanspruchen das ganze Herz, oder besser, den ganzen Leib, die ganze Seele – sie sind reine Emotion und werden deshalb auch als Opfer für Gott, als aufrichtiges Opfer angesehen. Nicht endloses Gerede über Gefühle erreicht Gott, sondern Tränen.

Wer weint, wer Tränen vergießt, so heißt es, ist Gott besonders nah. Gott ist ein leidenschaftlicher Gott, der sich anrühren lässt, den das Leiden bewegt. Und mit allem Weinen verbunden ist die Hoffnung, dass Gott einmal alle Tränen trocknen wird. „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das erste ist vergangen“ heißt es am Ende der Bibel.

Mehr können wir uns nicht wünschen, dass unsere Tränen einmal getrocknet werden von Gott. Dass in allem Abschiednehmen, in aller Hoffnungslosigkeit und Trauer, Gott barmherzig unser Leben sammelt. Allen Wandel, alle Irrwege und Rätsel wird er aufnehmen.

Weine nicht! trösten wir. Weint, rät dagegen Thomas von Aquin. Weint! Weint über das Schöne wie über das Schreckliche! Weint und ruft Gott in euer Leben,  auch wenn es nur vorübergehend ist.

Weint und wisst, wie es in einem jüdischen Sprichwort heißt: Die Tore für die Tränen, die wir weinen, sind bei Gott niemals verschlossen.  

Landesbischof Ralf Meister
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Bild: Johan Larson/fotolia.com

Der Bibeltext

Ein Psalm Davids, vorzusingen, für Jedutun.

Ich habe mir vorgenommen: Ich will mich hüten, dass ich nicht sündige mit meiner Zunge; ich will meinem Mund einen Zaum anlegen, solange ich den Frevler vor mir sehen muss.

Ich bin verstummt und still und schweige fern der Freude und muss mein Leid in mich fressen.

Mein Herz ist entbrannt in meinem Leibe; / wenn ich seufze, brennt es wie Feuer.

So rede ich mit meiner Zunge:

»Herr, lehre doch mich, / dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.

Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Ach, wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! SELA.

Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird.«

Nun, Herr, wes soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich.

Errette mich von aller meiner Sünde und lass mich nicht den Narren zum Spott werden.

Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun; denn du hast es getan.

Wende deine Plage von mir; ich vergehe, weil deine Hand nach mir greift.

Wenn du den Menschen züchtigst um der Sünde willen, so verzehrst du seine Schönheit wie Motten ein Kleid.

Ach, wie gar nichts sind doch alle Menschen. SELA.

Höre mein Gebet, Herr, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen; denn ich bin ein Gast bei dir, ein Fremdling wie alle meine Väter.

Lass ab von mir, dass ich mich erquicke, ehe ich dahinfahre und nicht mehr bin.

Psalm 39
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Bild: Wiebke Ostermeier/lichtemomente.net

Der Autor

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Landesbischof Ralf Meister; Bild: Jens Schulze