Es sind die kleinen Gesten
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Andacht zum 3. Sonntag vor der Passionszeit: Septuagesimae
Zumindest für Außenstehende muss es ein etwas seltsam anmutendes Trio gewesen sein, das am Freitagnachmittag zur Gestaltung der Andacht im Seniorenheim zusammenkam. Für die Musik war der weitgereiste ehemalige Manager zuständig, mittlerweile über 70 und deutlich von einer schweren Krankheit gezeichnet.
Dazu kam die über 90-Jährige, die in einer kleinen Wohnung in der Nähe lebte. Mehrmals in der Woche kam sie ins Seniorenheim, um den Bewohnerinnen und Bewohnern vorzulesen oder sich einfach nur mit ihnen zu unterhalten. Und dann ich als Berufsanfänger, der nach knapp neun Jahren weitgehend theoretischer Ausbildung jetzt einmal im Monat die Andacht „halten“ sollte.
Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. (2. Kor. 12, 1)
Es war der berühmte Praxisschock: Die sorgfältig erarbeitete und sprachlich durchkomponierte Ansprache zum biblischen Text brachte bei den Zuhörerinnen und Zuhörern nicht die ganz große Resonanz. Universitäres Wissen ist wichtig, aber die Gespräche und die praktische Arbeit mit meinen beiden Mitstreitern brachten mich an dieser Stelle ein großes Stück weiter.
Der Musiker ließ es nicht nehmen, am Ende der Andacht dabei zu helfen, die Bewohnerinnen und Bewohner, die im Rollstuhl saßen, wieder auf ihre Zimmer zu bringen und dann noch an der einen oder anderen Stelle ins Gespräch zu kommen.
Und es war wahrscheinlich niemand näher an den Menschen im Seniorenheim dran als die 90-jährige Ehrenamtliche, die genau wusste, wann jemand zuletzt im Krankenhaus gewesen war; oder wo ein Besuch am Geburtstag besonders wichtig war, weil es die Verwandten des Jubilars dann doch nicht geschafft hatten, vorbeizuschauen.
Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark. (2. Kor 10, 9f.)
"Ich habe viel Gutes in meinem Leben gehabt. Und nur, weil ich jetzt nicht mehr so kann wie früher, möchte ich trotzdem für andere da sein - wenigstens so viel, wie noch möglich ist. Wer weiß, wie lange ich das noch kann", erzählte mir der ehemalige Manager.
Ich habe viel gelernt in diesen Jahren, in denen ich einmal im Monat zu der Andacht in das Seniorenheim gekommen bin. Viele praktische Dinge für die Andachtsgestaltung. Und dass es die kleinen Gesten sind, die uns erleben lassen, was Gnade bedeutet. Etwa, wenn wir uns am Ende jeder Andacht zum Segen die Hände reichten: Die Bewohnerinnen und Bewohner, die Pflegekräfte, der Musiker, die ehrenamtliche Mitarbeiterin und ich. Dann waren wir in all unserer Schwachheit stark.
Pastor Benjamin Simon-Hinkelmann