Startseite Archiv Tagesthema vom 26. Januar 2018

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

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"Eine Hotellobby im nördlichen Tel Aviv. Vor uns spricht ein älterer Herr mit Kippa, einer religiös-jüdischen Kopfbedeckung. Ein Hebräisch mit deutschem Akzent. Wir sind ebenfalls im Gespräch. Auf deutsch. Das bleibt nicht unbemerkt von ihm. Er dreht sich um und fragt interessiert, woher wir seien. Es kommt zum Gespräch, in dem er uns seine Überlebensgeschichte erzählt. Vom Holocaust in der Hotellobby.

Und ich erzähle auch. Von Begegnungen in Israel, die ich während meines einjährigen Freiwilligendienstes erlebt habe. Erleben durfte. Wie ich mir selbst ein kleines Bild dessen machen konnte, wessen heute zu gedenken ist: Der Opfer das Nationalsozialismus. Nun gehe es zurück für mich. Nach Deutschland. Und soviel habe ich im Gepäck: An guten Begegnungen! Und die unguten? Das sind nie Begegnungen geworden. Mit Menschen, denen vor langer Zeit eine Nummer auf den Arm tätowiert wurde. Es ist ihnen nicht zu verdenken, keinem Deutschen mehr begegnen zu wollen.

Eine besondere Begegnung gab es. Mit Helen. Sie stammte aus Karlsruhe. Französische Nichtjuden hatten sie versteckt, damals. Ich lernte sie kennen, weil sie häufig in der Bäckerei aushalf. Diese war an das Kinderheim angegliedert, in dem ich 2004-2005 meinen Freiwilligendienst absolvierte. In der Bäckerei arbeitete Helen ehrenamtlich, bis sie fast neunzig Jahre alt war! Anfangs war sie skeptisch. Wollte keine Deutschen um sich. Dann musste ich Brote ausfahren. Eine Begegnung wider Willen. Wir deutsche Volontäre wussten nicht, was wir tun sollten. Irgendwann veränderte sich etwas zwischen uns und Helen. Irgendetwas musste sie erweicht haben.

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Im Pflegeheim "Beit Elieser" in Ma'alot im Norden Israels pflegen Christen aus Deutschland 24 Holocaust-Überlebende. (Foto vom 03.06.2011, eine freiwillige deutsche Helferin im Gespräch mit einem Heimbewohner). Bild: epd-bild / Nati Shohat/Flash90

Am Ende haben wir von ihr gelernt: Ein bisschen Jiddisch, viel Hebräisch. Im Hebräischen spricht man von Shoah, was Unheil, Verderben oder Untergang bedeutet. Nicht von Holocaust. Denn es ist nicht „alles verbrannt“ (griech. holocaustos) - welch ein Glück! Am darauffolgenden Pessach hat Helen uns zu sich eingeladen. Dafür – und für viele weitere Begegnungen bin ich dankbar. Wer sich erinnern will, möge sich begegnen."

Pastor Sascha Hintzpeter, Drochtersen
Sascha Hintzpeter
Sascha Hintzpeter

Vor wenigen Jahren wurde eine grundlegende Aussage in die Kirchenverfassung der Landeskirche Hannovers aufgenommen:

Bild: Jens Schulze

Angesichts des wachsenden Antisemitismus bittet Landesbischof Meister darum, im Gottesdienst an diese Verbundenheit zu erinnern und sie zu stärken:

"Wir blicken zurück: Gestern vor 73 Jahren wurden das Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau und das Konzentrationslager Ausschwitz befreit. Orte, die uns mahnen, zu welch  unvorstellbarer Grausamkeit Menschen in der Lage sind. Jedes Jahr erinnert der 27. Januar an alle Opfer des Holocaust.

Wir blicken auf die Gegenwart: Eine Gegenwart, die uns Sorgen machen muss. „Jude“ ist wieder ein Schimpfwort geworden. Ein Fünftel der Bevölkerung hat eine latent judenfeindliche Einstellung. Antisemitismus ist ein aktuelles Problem.Als Christinnen und Christen sind wir verpflichtet, in unserem engsten Umfeld, in unseren Gemeinden, in unserer Landeskirche und wo immer es nötig ist, gegen jede Form von Antisemitismus aufzustehen. Aus der Erinnerung wächst die Verantwortung für unsere Zukunft. Treten wir gegen alle Kräfte an, die Jüdinnen und Juden bei uns und in der Welt in Verruf und in Gefahr bringen! Widersprechen wir laut, wenn unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger diskriminiert werden. Antisemitismus ist Sünde gegen die Menschheit und gegen Gott (Ökumenischer Rat der Kirchen, 1948)."

Zum Download: Gedenken oder Abkündigung im Gottesdienst am Sonntag Septuagesimae

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Landesbischof Ralf Meister. Bild: Jens Schulze

Skulptur TWINS wird multimedial erklärt

Am 4. Mai vergangenen Jahres wurde sie feierlich enthüllt, die Skulptur TWINS am Kirchenamt der Landeskirche Hannovers an der Roten Reihe. Passanten und andere Interessierte können sich die Plastik zum Thema Kirche und Judentum des belgischen Künstlers Johan Tahon ab sofort multimedial auf dem Smartphone oder am Bildschirm erläutern lassen.

Anlässlich der derzeitigen Ausstellung Tahons in der Marktkirche Hannover und des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar wurden die Präsentationen jetzt freigeschaltet. Interessierte bekommen in der Multimediapräsentation eine Einführung und eine Vertiefung zu der Doppelskulptur und ihrem Thema, der Beziehung von Kirche und Judentum.

Stefan Heinze
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Die Skulptur TWINS vor dem Kirchenamt der Landeskirche Hannovers inmitten der Landeshauptstadt. Bild: Stefan Heinze