Heiden-Alarm
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Andacht zum dritten Sonntag im Advent
Der Sturm steht in den nächsten Tagen unmittelbar bevor: Tausende werden in die Kirchen drängen und das Volk wird sie zu dem machen, was sie besonders in vielen Städten schon nicht mehr sind: Zu Volkskirchen.
Da sitzt Heilig Abend der schlanke Alt-Linke mit seinen langen, inzwischen ergrauten Haaren in der Kirchenbank neben dem etwas fülligerem überreich tätowierten Mitvierziger mit Kurzhaarschnitt, der nur mit Mühe vom RTL-II-Programm weg zu bekommen war und dem seine Konfirmandentochter eingeschärft hat, auf keinen Fall im Gottesdienst ans Handy zu gehen. Fremd sind sie beide hier.
Der ältere Langhaarige lugt mit seiner halben Brille auf das Liederblatt und findet die Texte der Weihnachtslieder irgendwie kitschig, der jüngere singt erst gar nicht mit und schaut schon am Anfang der Predigt auf die Uhr. Und doch sind sie gekommen, die „U-Boot-Christen“, sind in ihrer Kirche aufgetaucht, einmal im Jahr am Heiligen Abend.
Auch wenn sie so viel „falsch“ machen, zum Beispiel vor Totensonntag Lichterketten ins Fenster gehängt haben, schon am 1. Advent zum „Weihnachtsmarkt“ gingen und bei der „Weihnachtsfeier“ im Betrieb „O Du fröhliche“ gesungen haben. Der Unterschied von Advent und Weihnachten wird in der Werbung auch nicht richtig erklärt ...
Trotzdem: Viele von ihnen sind Heiligabend da. Im Augenwinkel sieht der ältere, wie der jüngere aus dem Klingelbeutel etwas herausnimmt, statt seine Spende für Brot für die Welt hineinzutun. Und misstrauisch späht die Küsterin, wo wohl die Kaugummis platziert werden, die zwei Jugendliche am Eingang noch schmatzend durchwalgten. Manch treue Kirchenchristen bekommen vor der Christvesper „Heidenangst“ und gehen lieber zum besinnlichen Spätgottesdienst.
Paulus hat es in Rom auch mit sehr unterschiedlichen Menschen zu tun: Starken und Schwachen, solchen, die sich an fromme Regeln halten und solche, die sie elegant ignorieren, Christen, die gebürtige Juden sind und solche, die als „Heiden“ zum Christentum kamen.
Die einen fasten, trinken keinen Wein und essen kein Fleisch, den anderen ist solche Praxis fremd. Wer mag da schon entscheiden, wer da „stark“ oder „schwach“ ist? Den Treuen sagt der Apostel: Habt Geduld! Durch die Geschichten der Bibel, die ihnen ja vetraut sind, können sie Hoffnung haben. Gott gibt Geduld und Trost – auch der Küsterin.
Der gebürtige Jude Paulus, der die Heidenmission als seine Aufgabe begriffen hat, ruft zu Eintracht auf zwischen den unterschiedlichen Gruppen – zur Eintracht mit Aussicht. Die christliche Hoffnung ist nicht nur individuell, sondern universal. Sie ist es durch den - von Luther besungenen - „Heiden Heiland“.
Die gemeinsame Hoffnung von arte- und RTL-II-Zuschauern, von U-Boot- und Kirchenchristen, ist begründet darin, dass Christus sie alle angenommen hat. Die Hoffnung führt sie hin zum gemeinsamen Lob Gottes. Gott wird wohl auch gelobt durch schlechten Gesang und schweigendes Mitfeiern am Heilig Abend.
Pastor Gunnar Schulz-Achelis