Startseite Archiv Tagesthema vom 11. Dezember 2017

Verlorene Heimat

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Sojaanbau vertreibt indigene Völker/ Landwirtschaftspastorin Ricarda Rabe besuchte mit zehnköpfiger Delegation Hilfsprojekte in Argentinien und Paraguay

Argentinien und Paraguay: Zwei Länder, die von Agrarexporten und großflächigem Soja-Anbau geprägt sind. Luciano Wolff, Lars Bedurke und Uwe Becker von Brot für die Welt (BfdW) haben eine zehnköpfige Delegation aus Politik, Kirche und Landwirtschaft in Niedersachsen in diese beiden Länder begleitet und ihnen Einblicke ermöglicht sowohl in die Welt der Sojaproduzenten als auch in die Welt derer, die unter den Folgen dieser Produktion leiden.

Vom 4. bis 14. November war die Gruppe unterwegs und wurde vor Ort durch Projektpartner von BfdW über deren Projekte informiert. 

Landwirtschaftspastorin Ricarda Rabe berichtet eindrücklich von ihren Eindrücken der Reise:

"Was siehst Du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?" fragt Jesus nach dem Matthäusevangelium Kapitel 7, Vers 3. Splitter waren viele zu sehen auf der Reise nach Argentinien und Paraguay, die eine Reisegruppe unter der Leitung von "Brot für die Welt" zum Thema Soja-Fakten im November unternommen hat. 

In beiden Ländern ist das Rechtssystem nicht wirklich mit dem Hiesigen vergleichbar. Das gilt vor allem für den Landbesitz. Es gibt kein Katastersystem wie in Deutschland, wo eindeutig geklärt ist, wem das Land gehört. Sowohl in Argentinien als auch in Paraguay gibt es auf dem Papier das Recht der indigenen Bevölkerung auf ihr angestammtes Land. Aber dieses Recht auch durchzusetzen und sich gegen die Vertreibung und die nachfolgende Abholzung des angestammten und seit unzähligen Generationen bewohnten Gebietes zu wehren ist etwas ganz anderes. Die Nicht-Regierungs-Organisation "Asociana" steht den indigenen Wichi-Indianern in Argentinien dabei mit Rechtsberatung zur Seite und ist einer der Projektpartner von Brot für die Welt (BfdW), die die Reisegruppe aus niedersächsischen Landwirtschaftsexperten besucht hat. 

„Die ungleiche und ungerechte Verteilung von Landbesitz hat mich schockiert. Vor allem, weil diese bis heute durch Rodung und Urbarmachung fortgeschrieben und sogar verstärkt wird. Warum organisiert eine Gesellschaft das nicht anders?“ so Dr. Jürgen Wilhelm, Referatsleiter im niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Es gibt viele Großgrundbesitzer, die zum Teil mehr als 50.000 Hektar - ein Hektar hat 10.000 Quadratmeter - bewirtschaften und vorwiegend Soja im Wechsel mit Weizen und Mais anbauen. Die Sojabohnen gehen zum Großteil in den Export und dienen in China, aber auch in Europa, als Eiweißfutter für die Nutztiere. Für das, was später als Schnitzel oder Hähnchenbrust hierzulande auf dem Teller landet. 

Argentinien könnte nach eigenen Angaben 400 Millionen Menschen ernähren und möchte sich auch mit Hilfe der Agrar- und Ernährungsindustrie zu einem wohlhabenderen Land entwickeln. Die Landwirtschaft in Argentinien und Paraguay ist auf Wachstum und Export orientiert, die hohen Exportzölle für argentinische Agrarprodukte werden von der aktuellen Regierung gerade massiv gesenkt. Diese Zölle stellen für das Land einen wesentlichen Bestandteil der Staatseinnahmen dar. Werden sie gesenkt, hat das Einschnitte im sozialen Bereich zur Folge.

Sinkende Zölle machen Investitionen in die Landwirtschaft lukrativer, und das weckt die Begehrlichkeiten nach noch mehr Land. Da fruchtbares Land aber begrenzt ist, versuchen die Investoren, durch Abholzung großer Waldgebiete immer mehr Ackerflächen zu gewinnen. In Argentinien waren das nach Auskunft von Ana Laura Álvarez von Asociana allein 2015 2,5 Millionen Hektar Wald. Dass dieses Land Lebensraum von Menschen und Tieren ist, wird dabei ignoriert, die bestehenden Gesetze werden zugunsten der Agrarindustrie verändert oder einfach gebrochen. 

Das ist die eine Seite des Soja-Anbaus. Vertreibung der indigenen Bevölkerung, Abholzung, Brandrodung. Die andere Seite ist der massive Einsatz von Dünger und Unkrautvernichtungsmitteln, der möglich ist, weil genverändertes Saatgut eingesetzt wird, das gegen den Wirkstoff Glyphosat resistent ist. Allerdings sind zunehmend auch die „Unkräuter“ resistent und können zum Teil nur noch manuell entfernt werden. Der hohe Einsatz von Pestiziden verseucht das Oberflächenwasser, das so für  Mensch und Tier nicht mehr nutzbar ist. Dazu kommen im tropischen Klima mit heftigen Regenfällen massive Erosionsschäden, die den fruchtbaren Boden wegschwemmen, wenn der nicht mehr durch Pflanzen geschützt ist und gehalten wird.

„Die Reise war eine Konfrontation: mit Armut, mit Unrecht, mit Ungleichheit. Wir können helfen. Wenn wir helfen wollen. Danke an Brot für die Welt!“ so Berndt Tietjen, Leiter der Akademie Junglandwirte Niedersachsen.   

Projektpartner von BfdW sind Menschen, die sich in Organisationen zusammenschließen, um sich gegen diese Ungerechtigkeit zu stemmen. Unter anderem "Asociana" in Argentinien und "Oguasu" in Paraguay. In ihrem Kampf geht es auch darum, den indigenen Gemeinschaften den Spielraum zu erhalten, in dem sie selbst entscheiden können, wie sehr sie sich an die westliche Kultur angleichen und wie weit sie an ihrer teilweise jahrtausendealten Kultur festhalten möchten. Andrés Ramírez, Leiter von Oguasu, der die Elementar- und die Sekundarschule in der Nähe von Campo Nuevo in Paraguay in ihrem Bestreben um Autonomie und Land unterstützt, wird persönlich bedroht, weil die indigenen Gemeinschaften den Großgrundbesitzern im Weg sind. 

„Der Optimismus, die Lebensfreude und das anhaltende Engagement unserer Partner fasziniert mich und gibt mir den Impuls, in der Informations- und Bildungsarbeit für Brot für die Welt weiterzumachen“, sagt Uwe Becker von BfdW. 

Die Reisegruppe hat sich auch über die Folgen der auf Agrarexporte ausgerichteten Landwirtschaft auf den ländlichen Raum insgesamt informiert. Wenn den indigenen Gemeinschaften oder auch den Kleinbauern ihr Land genommen wird, verlieren sie ihre Lebensgrundlage und landen zum Beispiel in den Barrios, also Slums, von Buenos Aires. Auch dort bilden sich Gruppen, die den Landflüchtigen bei Fragen der Gesundheitsfürsorge, der Aufenthaltserlaubnis und allgemeinen Rechtsfragen zur Seite stehen.

Welches Fazit ziehen nun die Reisenden?

„Die wachsende Nachfrage nach Soja auf dem Weltmarkt ist unstrittig eine der entscheidenden Antriebskräfte für Abholzung und Landraub in Argentinien und Paraguay. Die maßlose Expansion der landwirtschaftlichen Großbetriebe wird jedoch erst ermöglicht durch die Mißachtung elementarer Menschen- und Bürgerrechte und die systematische Umgehung bestehenden Rechts in den betroffenen Ländern. Der schrittweise Abbau deutscher Sojaimporte und die Einführung definierter, kontrollierbarer Nachhaltigkeitsstandards für den Import von Soja und Sojaprodukten wären wichtige Schritte. Sie allein werden jedoch zum Schutz der Waldökosysteme und indigenen Bevölkerung nicht ausreichen“, lautet das Fazit von Dr. Bettina Siegmund, Mitglied der Landessynode Hannovers. 

Es stellen sich ein Reihe von Fragen, die nicht nur die Landwirtschaft in Argentinien und Paraguay betreffen. Den Splitter im Auge der anderen sieht man leicht. Aber was ist mit dem Balken im eigenen Auge? Was ist mit den Fragen, die unsere Art zu leben und Landwirtschaft zu betreiben kritisch beleuchten: Ist eine auf globalen Export ausgerichtete Landwirtschaft wirklich der richtige Weg? Wer zahlt den Preis dafür? Wie können Landwirte in Deutschland und weltweit von ihrer Arbeit leben, ohne dabei sich selbst und die Natur auszubeuten? Ohne anderen Schaden zuzufügen? Welchen Beitrag kann die Politik durch eine andere Gesetzgebung, aber auch wir alle als Verbraucher beitragen – zum Beispiel, indem wir weniger Fleisch konsumieren und mit Lebensmitteln insgesamt sorgsamer umgehen? Wie kann der Anbau von Eiweißpflanzen, beispielsweise Bohnen, in Deutschland gefördert werden, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern?

Muss nicht ein generelles Umdenken weg vom immer mehr, vom Dogma des Wachstums, hin zu einer Ethik des Genug erfolgen, damit auch nachfolgende Generationen noch die Chance auf ein gutes Leben haben? Sind wir das nicht auch der Natur, oder, theologisch gesprochen, dem Schöpfer und seiner Schöpfung schuldig?

Ricarda Rabe, KDL Hannover

Indigene

Die ursprüngliche Bevölkerung eines Landes wird als indigene Bevölkerung bezeichnet. Für den Chako, den Trockenwald in Argentinien, Bolivien und Paraguay, sind das unter anderem die Wichi (etwa 36.500 Personen)  und die Guaraný-M’bya-Indianer. Beide Bevölkerungsgruppen leben überwiegend als Jäger und Sammler, wobei die Guaraný-M’bya (etwa 10.000 Personen)  immer schon auch Ackerbau und Viehzucht betrieben haben. 

Durch ihre Lebensweise wirkt es auf den ersten Blick so, als wäre der Wald menschenleer: Die Indigenen wissen in einem großen Radius die Ressourcen des Waldes für sich umweltschonend zu nutzen.

Die indigenen Gruppen leben zum Teil als Christen, zum Teil als Anhänger einer eigenen Weltanschauung und Religion. 

Konflikte gibt es zwischen den indigenen Gemeinschaften und den Ackerbauern, die den Wald roden möchten, um dort Soja, Weizen und Mais anbauen zu können, da die Landrechte nicht klar geregelt sind. 

Erosion

„Bodenerosion ist die übermäßige Erosion von Böden, verursacht durch unsachgemäße menschliche Landnutzung, zum Beispiel Entfernung der schützenden Vegetation durch Überweidung oder Abholzung, sowie zu kurze Brachezeiten. Besonders problematisch ist hierbei der Verlust des Oberbodens, das heißt des fruchtbarsten und landwirtschaftlich bedeutendsten Teils der Böden.“ (Quelle: Wikipedia)

Folge davon sind ist, dass bei starken Regenfällen ein Großteil der Humusschicht weggeschwemmt wird, es bilden sich tiefe Gräben in den Feldern, und Hitze und Wind können das unbedeckte Land wegwehen. In der Folge verlieren die Böden immer mehr an Fruchtbarkeit. Schlimmstenfalls sind sie auf Dauer für landwirtschaftliche Nutzung verloren.

Mennoniten

Die Mennoniten sind eine evangelische Freikirche und  gehen auf den friesischen Reformator Menno Simons zurück. Sie gehören zur Täuferbewegung, das heißt sie praktizieren die Bekenntnistaufe. Bis heute haben sie sich ihre plattdeutsche Sprache bewahrt. 

Durch Verfolgungen seitens der Regierungen sind viele Mennoniten im 17. und 18. Jahrhundert ausgewandert, erst nach Rußland, von da Ende des 19. Jahrhunderts in die USA und nach Kanada. Im 20. Jahrhundert sind dann viele Mennoniten nach Paraguay und Argentinien weitergezogen, um dort in ziemlich abgeschlossenen Gemeinschaften unbehelligt vom Staat leben zu können. Sie haben eigene Gesetzgebung, eigene Gesundheitssysteme, sprechen noch eine Form des Plattdeutschen und bleiben weitgehend unter sich. Es finden sich liberale, pietistische, evangelikale oder traditionalistische Gemeinden. Viele arbeiten als Bauern sowie im Handwerk, das mit der Landwirtschaft verbunden ist.