Startseite Archiv Tagesthema vom 20. November 2017

Human Flow

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Film von Aktionskünstler Ai Wieweit über Flüchtlingsströme/ Persönliche Eindrücke von Landesbischof Ralf Meister

Die zwei Faktoren, die das 21. Jahrhundert prägen und verändern werden, sind der Klimawandel und die Migration. Am Umgang mit beiden Phänomenen wird sich die Zukunft der Menschheit und die Lebensfähigkeit unseres Planeten Erde entscheiden. Zum Thema der Migration hat einer der berühmtesten Künstler der Gegenwart, Ai Weiwei,  mit dem Film HUMAN FLOW ein eindrückliches Statement abgegeben.

Wer in 140 Minuten die Reise Ai Weiweis durch Flüchtlingslager in Wüstenlandschaft oder auf Schlammfeldern verfolgt, wer das unwürdige Leben von Greisen, hochschwangeren Frauen und Kindern in Zelten, Containern oder im Flugzeughangar gesehen hat, der hält die in europäischen Ländern heftig diskutierte Frage nach einer „Obergrenze“ für eine marginale Entscheidung, die im Angesicht der Dimension dieser Menschheitsherausforderung wie eine politische Posse erscheint. 

Ai Weiwei dreht einen Dokumentationsfilm und setzt sich als Betrachter zeitweilig mit ins Bild. Man sieht ihn mit dem Handy filmen, man sieht ihn in der stillen Betrachtung einer Szene oder an der Route der Flüchtlinge. Diese Ereignisse, so zeigt er, erlauben nicht eine distanzierte Wahrnehmung, sondern sind immer beteiligte Beobachtung. Und die entscheidende Frage ist, ob die Weltgesellschaft bereit ist, sich zu beteiligen.

Auf der Pressekonferenz während der Filmfestspiele in Venedig beschreibt er sich nicht als Erklärer. Er habe keine Antwort, er selbst bleibe nur Zuschauer. Doch zugleich dokumentiert er in Bildern die Dimension dieser Migrationsbewegung als eine Tragödie, die nicht die Menschheit, sondern den einzelnen Menschen trifft. Es ist nicht „die Flüchtlingswelle“ oder der „Strom der Menschen“, sondern das Bild von Abermillionen einzelnen Personen, die aufbrachen, um eine andere, sichere, bessere Welt zu finden.

Die Kritik auf diesen Film, als er in Venedig auf der Filmbiennale gezeigt wurde, war vom Publikum und den Journalisten scharf: „Kennen wir“, „Nichts Neues“, „Zu lang“.

Dieser Film hat kein gutes Ende. Aber er stellt in seiner Totalität, mit der er dieses Drama der Menschheitsgeschichte erzählt, die Frage, ob die Weltgemeinschaft diese Herausforderung des 21. Jahrhunderts annimmt oder scheitern wird.

Landesbischof Ralf Meister

Der Künstler

Der chinesische Aktionskünstler Ai Weiwei (60) fordert mehr Anteilnahme am Schicksal von Flüchtlingen. Mit seinem Dokumentarfilm "Human Flow" wolle er Menschen dazu bewegen, Flüchtlingen zu helfen und mit ihnen zu teilen, sagte er am Rande einer Filmvorführung in Hannover am Freitag. Der Film zeigt in 140 Minuten die Lebenssituation von Flüchtlingen in insgesamt 23 Ländern, darunter Griechenland, Frankreich, Deutschland, Bangladesch und die Türkei. 

Die globalen Reaktionen auf die Migration seien noch sehr langsam und unbefriedigend, sagte der Künstler. "So viele Menschen haben ihr Leben und ihr Zuhause verloren und die Chance, ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen." Es sei eine zivile Verantwortung, den weltweit rund 65 Millionen Flüchtlingen zu helfen. "Die Fluchtbewegung ist menschengemacht. Letztlich muss das Problem also auch von Menschen gelöst werden." Neben humanitärer Versorgung sei es wichtig zu begreifen, wie es zur weltweiten Flucht und Vertreibung gekommen sei. "Wir müssen an die Wurzeln der Ursachen gehen."

Ai Weiwei betonte, dass er sehr persönliche Beweggründe für den Dreh seines Dokumentarfilms gehabt habe. "Ich bin selbst ein Emigrant." Im Jahr 2011 wurde er in Peking verhaftet und für mehrere Jahre unter Arrest gestellt. Seit zwei Jahren lebt er im Exil in Berlin und unterrichtet an der Universität der Künste. Er verwies zudem auf seinen Vater, den chinesischen Dichter und Regimekritiker Ai Qing, der in den 1950er-Jahren ins Zwangsexil geschickt wurde. "Ich habe einen sehr direkten Zugang zu Flüchtlingen." Durch seinen Film wolle er allerdings die Flüchtlinge direkt zu den Zuschauern sprechen lassen.

"Human Flow" ist am Donnerstag in den deutschen Kinos angelaufen Die Vorführung in Hannover bildete den Auftakt einer deutschlandweiten Kinotour Ai Weiweis. Weitere Stationen sind bis Sonntag in Hamburg, Köln, Düsseldorf, Stuttgart und München.

Leonore Kratz (epd)