„Das relativiert so einiges“
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Seitenwechsel: Lars Nienstedt, Justiziar bei enercity Hannover, hat 2014 für eine Woche in einer Einrichtung für Demenzkranke gearbeitet. Eine Entscheidung, die bis heute nachwirkt.
Ob er Berührungsängste hatte? Lars Nienstedt überlegt kurz. „Natürlich“, erinnert sich der 45-Jährige. „Vielleicht trifft es aber das Wort ,Respekt' besser“, sagt er. „Demenzkranke sind ja meist in ihrem Wesen verändert und verhalten sich anders als andere. Ich wollte sie erst einmal nach und nach kennenlernen.“
Vom Schreibtisch im Unternehmen in die soziale Einrichtung: Normalerweise klärt Lars Nienstedt als Justiziar bei enercity Hannover rechtliche Sachverhalte, davor Personalfragen. Doch 2014 entschließt er sich, bei „Altera“ mitzumachen. Das Fortbildungsangebot des Diakonischen Werkes Hannover und des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt gibt Führungskräften die Möglichkeit, in einer sozialen Einrichtung mitzuwirken.
Nienstedt wechselt für eine Woche die Seite und arbeitet im Pflegezentrum Haus am Leuchtturm: Dort nimmt er sich für die Demenzkranken Zeit, spaziert mit ihnen durch den Garten, liest mit ihnen Zeitung, spielt mit ihnen Mensch-ärgere-dich-nicht, hört ihnen zu.
„Ich habe mir diese Einrichtung bewusst ausgesucht“, erklärt der gebürtige Laatzener, „weil ich schon als Zivildienstleistender in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung gearbeitet habe. Mich hat interessiert, ob sich auf diesem Gebiet viel verändert hat.“
Mittlerweile sei der Mensch mit seinem Krankheitsbild viel stärker ins Zentrum gerückt, vergleicht Nienstedt damals und heute. Doch der Umgang mit den Demenzkranken sei weiterhin eine besondere Herausforderung geblieben – sowohl für Angehörige als auch für das Pflegepersonal.
„Die Erfahrung, die ich früher gemacht habe, hat mir im Haus am Leuchtturm sehr geholfen“, erzählt der aufgeschlossene Mann. „Ich wusste, dass es auch immer wieder schwierige Situationen geben kann, in denen man nicht genau weiß, warum ein Bewohner von einer Sekunde auf die andere so untypisch, manchmal verärgert reagiert.“
Aber es gebe auch die schönen Momente. „Ein Professor, der früher viel zu internationalen Kongressen gefahren ist, hat mich eines Morgens am Frühstückstisch englisch begrüßt“, erinnert sich Nienstedt an eine Begebenheit. „Ich habe englisch geantwortet – und auf ein Mal war der Mann hellwach, hat sich gefreut und sofort mit mir einen englischen Small Talk geführt.“
Ziel von „Altera“ ist es, Ansichten zu verändern. Die Patienten mit ihren Stimmungsschwankungen, ihrer Vergesslichkeit und der mangelnden Orientierung auf der einen Seite, Personalfragen und juristische Sachverhalte bei enercity auf der anderen – ist das ein Perspektivwechsel mit Folgen gewesen? „Im Büro hatte mich der Arbeitsalltag schnell wieder eingeholt – ohne, dass sich groß was geändert hat“, erinnert sich Nienstedt. „Eins zu eins lässt sich da nichts übertragen. Dafür sind die Bereiche einfach zu unterschiedlich.“
Aber der Seitenwechsel habe Anstoß gegeben, um immer mal wieder über das eigenen Leben nachzudenken „und ein wenig demütig zu sein. Sich bewusst zu werden, wie zufrieden man sein könnte, dass man gesund ist, viele Freunde hat“, sagt Nienstedt nachdenklich. „Das relativiert bis heute so einiges.“
Katrin Schreiter