Ein Bündnis mit Gott
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Andacht zum zehnten Sonntag nach Trinitatis
Mitten im Leben und doch als geschlossene Welt liegt der jüdische Friedhof am Rand der Auricher Innenstadt. Ich musste mir den Schlüssel für das Tor in der Polizeiwache holen und der Beamte hat sorgfältig nachgefragt, was ich auf dem jüdischen Friedhof wolle. Nun stehe ich mit dem Schlüssel in der Hand vor dem Tor. Ein Schild weist mich auf die Besonderheiten des Friedhofs hin: Männer müssen ihren Kopf bedecken, Tiere dürfen nicht mitgenommen werden, und am Schabbat darf der Friedhof nicht betreten werden.
Im 18. Jahrhundert, vor über 250 Jahren wurde hier der erste Mensch bestattet. Sein Grab existiert immer noch. Für Juden ist der Friedhof ein beth olam, ein ewiges Haus, die Gräber erinnern ewig an die Toten und werden nicht nach einer Ruhezeit aufgelöst, wie es sonst auf Friedhöfen in Deutschland üblich ist.
Gott hat mit dem Volk Israel einen ewigen Bund geschlossen, hier auf dem Friedhof wird mir dieser Gedanke noch einmal ganz neu bewusst. Ewig ist ewig, ungeachtet dessen, dass die Welt sich verändert, unberührt vom Aufstieg und Fall der Reiche. Dieser Bund ist ein Geschenk.
Gott sagt: Seht, ich habe euch aus dem Land der Ägypter gerettet, nun mache ich euch zu meinem heiligen Volk. Dieser Bundschluss am Sinai wird für Israel zur zentralen Erfahrung und stiftet Identität: Gott mit uns.
Für uns Christinnen und Christen kommt die Taufe an diese Erfahrung heran. Gott wendet sich uns zu, er schließt ein Bündnis mit jedem Täufling, auch das ist ein ewiges Versprechen: Gott mit mir.
Es geht nicht darum, dass ein Bund den anderen aussticht. Bei der Liebe Gottes gibt es keine Reihenfolge. Es gibt Beisein, Offenheit und Gemeinschaft.
Ich verlasse den jüdischen Friedhof. Sorgfältig schieße ich das Tor hinter mir ab. Ich fasse prüfend an die Klinke, ob die Tür auch wirklich zu ist. Ich möchte nicht, dass sie versehentlich offen bleibt und Menschen auf den Friedhof gelangen können, die sich nicht an die Regeln halten.
Der Besuch auf dem jüdischen Friedhof hat mich bereichert. Ich bin in eine andere Welt mitten in Aurich eingetaucht. Aber ich habe auch viele Gemeinsamkeiten gefunden. Und ich habe wieder neu über das Verhältnis von Juden und Christen nachgedacht. Nicht abstrakt anhand von Zeitungsmeldungen und meinem Wissen aus der Geschichte, sondern praktisch am Grab von Menschen, die wie ich in Aurich gewohnt haben.
Ich lasse den Friedhof hinter mir und mache mich zurück auf dem Weg zur Polizeiwache, ich muss da ja noch den Schlüssel abgeben.
Pastorin Antje Wachtmann