Startseite Archiv Tagesthema vom 27. Mai 2017

„Der Herr der Zeit geht jeden Weg mit“

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Tag drei Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag

„Der Feigling hat das große Los gezogen“, summierte Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, denn Jakob, der etwas jüngere Bruder des Zwillings Esau wird seßhaft und steht unter dem Segen Gottes, während Esau nach dieser Geschichte nicht mehr in der Bibel auftaucht.

Ja, es seien „Brüdergeschichten“, die eine große Rolle vor allem im Alten Testament spielten, hatte Dr. Petra Bahr, Landessuperintendentin im Sprengel Hannover, die Bibelarbeit am Freitag eröffnet. Und im sich fortsetzenden Gespräch unterstrich dann Lewitscharoff, die Bibel zeige in diesen Erzählungen von Auseinandersetzungen unter Brüdern eine große zivilisierende Leistung. Denn anders als in den Mythologien, in denen Zwiste fast immer mit Mord oder als Opfer enden, gebe es hier eine Zukunft für die Beteiligten.

Am Schluss meinte mein Sitznachbar, er wisse nun doch nicht so recht, wie er darin vorkomme. Vielleicht hat er ja mit niemandem Streit. Aber Bahr hatte vorher noch erwähnt, dass mit dieser Erzählung in der kirchlichen Ökumene gern die „versöhnte Verschiedenheit“ untermauert werde. Aber ihr fehle da im gegenseitigen Verhältnis die Kuss-Szene - und der geteilte Segen auch.

Man wird überlegen dürfen, wie das wohl im privaten Bereich aussieht.

Bibelarbeit mit Dr. Petra Bahr. Bild: Winfried Gringmuth

Christian Sprenger ist vielen Posaunenchören als Komponist anspruchsvoller Musik bekannt, die gleichzeitig viele Klangfülle hören lässt.

Im Zentrum Kirchenmusik leitete er eine Probe für das Abendkonzert auf dem Breitscheidplatz und begann nach kurzer Selbstvorstellung das Einblasen mit „buzzen“. Das meint: Zur Übung und „Einstimmung“ werden Töne ausschließlich mit den Lippen erzeugt. Das geht - ganze Melodien lassen sich gut erkennen, auch wenn es erst einmal ziemlich komisch aussieht. Natürlich kamen übliche Atemübungen dazu. Und dann begann die Musik mit den Instrumenten. Faszinierend, wie schätzungsweise 2000 Bläserinnen und Bläser unter seiner Leitung die Noten in Gänsehaut-Klang verwandelten.

Bild: Winfried Gringmuth

Mit dem Rückgriff auf die Veranstaltung „Ist das noch Kirche oder kann das weg?“ suchten die Teilnehmenden wie die „Prominenten“ der Veranstaltung auf der Bühne an der St. Marienkirche in Berlin-Mitte nach Baumeisterinnen und Baumeistern.

Bernd Neukirch, Studienleiter im Amt für kirchliche Dienste Berlin, hatte zunächst die Ergebnisse der vorhergehenden Veranstaltung vorgestellt. Also das, was zum einen aufgehoben, zum anderen aber auch entsorgt werden solle.

Gerade Gebäude würden häufig als überflüssiger Ballast wahrgenommen, spitzte Dr. Birgit Klostermeier, Landessuperintendentin im Sprengel Osnabrück, einen Punkt zu.

Wenn er seinen Eindruck der vielen Rückmeldungen zusammenfassen solle, dann, so Bernd Neukirch, hieße das für ihn: „Jugend an die Macht!“

Die große Aufgabe sei aber jetzt, aus diesen Ein- und Ansichten tatsächlich Neues entstehen zu lassen. Mit Hilfe von Fragebogen sollten in kleinen Gruppen über mögliche Projekte und Änderungen Gedanken ausgetauscht und dann gemeinsam in einem Projektvorschlag auf dem Blatt festgehalten werden.

Christian Stäblein griff spontan einen Vorschlag auf: „Brötchentüte für neu Zugezogene, das gefällt mir! Das lässt sich gut und leicht machen.“ Und „Events wie etwa der Kirchentag sind nötig - ebenso wie Alltagszeiten. Und alles für alle - das klappt sowieso nicht.“

„Für ein neues Projekt muss ein altes Arbeitsfeld weg“, deutete Tobias Kuske einige Vorschläge und unterstrich das deutlich aus seiner Sicht. Überhaupt müsse mehr über Beteiligungsformen ohne Hauptamtliche nachgedacht werden. Das sei für ihn ein Ergebnis aus den Vorschlägen.

Allerdings, meinte Birgit Klostermeier, „da sind auch die Grupen, die sagen, alles solle so bleiben, wie es ist.“

Am Schluss gab die Moderation den Teilnehmenden eine Aufgabe mit: „Jetzt seid ihr dran!“

V. l. n. r.: Tobias Kuske, Dr. Birgit Klostermeier, Dr. Christian Stäblein. Bild: Winfried Gringmuth

Musik von der Harfe erklang zu Beginn des Nachtsegens am Brandenburger Tor. Nach etwas gemeinsamen Singen unter der Leitung von Fritz Baltruweit – erstaunlich, was doch auch alles ohne Liederbuch geht! - trat Mechthild Werner (Pfalz) ans Lesepult. Sie erzählte in mehreren Szenen launig, zum Teil auch ironisch von Ereignissen, die eben geschehen, wenn rund 140.000 Gäste des Kirchentags in Berlin unterwegs sind. Wie da einer die gedenkende Stille im Dom nicht ertragen konnte – und, ach ja, da gab‘s ja noch einen, der nicht schweigen wollte. Oder dass die Gäste auch einkaufen gehen – nur dass es in den Schlangen erstaunlich ruhig blieb. Und die gelben Bänder, die viele um den Hals oder irgendwo angeknotet hatten, seien wohl schon ein Hinweis auf den nächsten Kirchentag in Dortmund. Oder etwa nicht?

Bischof Ralf Meister hatte das Stichwort „Nacht“ zum Thema gewählt. Von der wohl größten Silvesterfeier auf der Erde an eben dieser, Stelle wo es doch nur um die Sekunde zwischen dem alten und dem neuen Jahr, kam er zu den Nächten, die so unterschiedlich sind. „Erinnere dich an Nächte als Kind, wo der Schatten der Hexe nach dir greifen wollte und dir vor Angst die Stimme versagte“, sprach er an. Oder die Nächte der ersten Liebe, die am besten nie hätten enden sollen. Oder die erste Nacht, in der dein Kind nicht nach Hause kam und du dir das Schrecklichste ausmaltest.

Oder das erste Mal, als die Nacht, in der du die Endlichkeit deines eigenen Lebens vor Augen hattest, schwärzer war als jedes Schwarz.

Als Meister die nun nicht endenden Nächte ansprach der Eltern jener Kinder aus Manchester, die nie mehr nach Hause kommen, hätte man wohl eine fallende Stecknadel gehört.

„Der Herr der Zeit geht jeden Weg mit“, gab er als Hoffnung und Zuversicht allen mit. Für diese Nacht – und für alle Nächte.

Winfried Gringmuth
Nachtsegen mit Landesbischof Ralf Meister. Bild: Winfried Gringmuth

In Berlin unterwegs:

Winfried Gringmuth

Es ist toll!!!


„Es war ein kleiner, positiver Aufreger in unserer Morgenrunde bevor der ErlebnisRaum öffnete. Auf den Wegweiser zu uns hatte jemand mit Kreide geschrieben: „Es ist toll!!!“ Der Urheber, so stellte sich später heraus, heißt Jakob Kübler, ist neun Jahre und kommt aus Premnitz in Brandenburg. Er war gestern bereits im ErlebnisRaum und so begeistert von der Inszenierung, dass er heute nochmal mit seinem Vater herkam. Und auch freimütig erzählte, den Wegweiser „beschriftet“ zu haben.
Ähnlich begeistert wie Jakob waren viele der knapp 200 Besucherinnen und Besucher, die heute im ErlebnisRaum am Stadtgraben vorbeischauten. Der Psychotherapeut, der sich vor zehn Jahren taufen ließ. Oder die Ur-Wittenbergerin, getauft im Jahr 1934, die mit Tränen in den Augen erzählte, dass sie dieses Jubiläumsjahr unbedingt noch erleben wollte. Ihrem Mann sei das leider nicht mehr vergönnt gewesen. Aber trotzdem sei es so schön, dass alles jetzt in Wittenberg zu sehen.
Wir freuen uns auf viele weitere Begegnungen und ganz persönliche Geschichten in den kommenden Tagen. Und natürlich auf den großen Besucheransturm am Sonntag zum großen Abschluss-Gottesdienst.
Übrigens hat Jakob nicht mit Edding oder Filzstift seinen Kommentar geschrieben, sondern mit einem Stück Kreide. Das bekommen alle Besucherinnen und Besucher. Sie können damit auf den Tisch im Erlebnisraum den Satz schreiben, den auch Martin Luther immer wieder auf seine heimische Tischplatte geschrieben hat: Ich bin getauft.“

Petra Utermöller, Ehrenamtliche aus der Hannoverschen Landeskirche im ErlebnisRaum Taufe
Jakob Kübler (9 Jahre) aus Premnitz in Brandenburg

Torte! Torte!

Unter Anfeuerungsrufen der mitfiebernden Zuschauer füllten sich die Abstimmungsäulen. Und schnell war klar, dass sich der Hildesheimer Kirchenkreisjugenddienst beim Wettbewerb um das innovativste Projekt gegen fünf Mitbewerber durchsetzen würde.

"Wir gehen dahin, wo die Menschen schon sind" - im Park mit Kaffee und Torte entstehen dann Gespräche über Gott und die Welt. Ein niedrigschwelliges Angebot, dass auch Publikum und Jury an der St. Marienkirche bei der Show "Die Höhle der Löwen" überzeugte.

Beate Woltmann
Bild: Beate Woltmann