Von Bomben, Terror und Todesnachrichten
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Besondere Andachten in der Karwoche führen an "Wunde Punkte" in Celle
In der Halle im Industriegebiet von Celle legen die Mitarbeiter von Deutschlands größter Kampfmittel-Suchfirma üblicherweise bereit, was sie für den nächsten Einsatz brauchen. Sondiergeräte, Spaten oder auch ein Stromaggregat, zählt der Geschäftsführer der Firma Schollenberger, Boris Töller, auf. Am 11. April aber öffnet Töller die Halle für die evangelische Kirche. Dann will er in einer Passionsandacht berichten, wie die Spezialisten auf die Suche nach Bomben oder Munition zumeist aus dem Zweiten Weltkrieg gehen - an Orten, die heute ganz friedlich wirken. "Wenn man den Boden aufmacht, dann weiß man, dass das mal anders war", sagt er.
Seit mehr als zehn Jahren lädt der evangelische Kirchenkreis Celle in der Karwoche vor Ostern zu den Andachten an besondere Orte ein. Vom 10. bis zum 15. April erinnern Pastorinnen und Pastoren dabei täglich an das Leiden und den Kreuzestod, aber auch an die Auferstehung Jesu. Unter Überschriften wie "Wunde Punkte" oder "Schmerzpunkte" versuchen solche Reihen inzwischen mancherorts, die biblische Passionsgeschichte mit aktuellen Themen zu verbinden und damit eine zentrale christliche Botschaft den Menschen neu nahezubringen. Wie Boris Töller kommen dann auch die Gastgeber zu Wort - an Orten, die heute für Verwundungen stehen.
Bei der Andachtsreihe in Celle geht es um Fluchterfahrungen, um das Überleben mit wenig Geld. Um Katastrophen des Alltags, mit denen Polizisten immer wieder konfrontiert sind, wenn sie Todesnachrichten überbringen müssen. Und es geht um Terrorismus. "Wir möchten den Blick auf Schwachstellen und Schwierigkeiten richten, mit denen Menschen zu kämpfen haben", sagt Pastor Martin Prüwer, der die Reihe koordiniert. "Gleichzeitig zeigen wir, wie Menschen an diesen Orten Hilfe und Unterstützung erfahren."
Die Kirche ist dabei diesmal zum Beispiel in einem Polizeikommissariat und in einer Tierarztpraxis zu Gast. Anschaulich werden die halbstündigen Andachten, weil dort neben Theologen Menschen berichten, die den Leiderfahrungen anderer nahekommen.
Auch der Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig öffnet die Türen seiner Behörde, die in Niedersachsen die Zentralstelle für Terrorismus-Bekämpfung ist. "Das Thema beschäftigt die Justiz bundesweit zunehmend", sagt er. Bei der Passionsandacht will Lüttig darüber reden, was ihn dabei persönlich bewegt: Die Frage, wie aus Bürgern Attentäter werden. "Es ist ein Phänomen, das ich nicht begreife, wie sich Menschen so verblenden lassen." Pastor Helmut Geiger will dem gegenüberstellen, wie Jesus eingeschritten ist, als einer seiner Jünger das Schwert ergriff, um ihn zu schützen.
Bei den Kampfmittelsuchern der Firma Schollenberger im Industriegebiet wird Pastor Stephan Eimterbäumer daran erinnern, dass menschliches Handeln auch nach 70 oder 80 Jahren Folgen haben kann - im Guten wie im Schlechten. Wenn zum Beispiel ein neues Baugebiet ausgewiesen wird, studieren die Mitarbeiter erst einmal Behördenakten und Luftbilder, berichtet Boris Töller. Dann suchen sie mit Sonden nach Blindgängern oder Munition. Manchmal muss der Boden abgetragen und gesiebt werden.
Seine Leute gehen dabei eher technisch vor, sagt der Geschäftsführer. Sie spüren mit den Kriegsrelikten Zeugnisse einer Leiderfahrung auf, die lange zurückliegt. Dennoch findet er es interessant, darüber in der Passionsandacht zu berichten. "Es gibt ja viele, die damit noch etwas verbinden. Für die ältere Generation ist das sicher noch ein wunder Punkt."