Die Seele stärken
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Notfallseelsorger diskutieren bei Kongress über Hilfen nach belastenden Erlebnissen
Wenn Pastor Jürgen Harms zu einem Einsatz gerufen wird, rechnet er mit allem. Als Notfallseelsorger kommt der 65-Jährige zu denjenigen ins Haus, die unfassbar schwere Nachrichten wie die vom plötzlichen Tod eines geliebten Menschen verkraften müssen. "Manche reagieren mit Schockstarre, andere mit Panik. Sie weinen oder schreien", berichtet Harms am Donnerstag am Rande eines Notfallseelsorger-Kongresses in Hannover. "Wichtig ist, das erst einmal mit zu ertragen." Erst später kämen die Fragen, die Betroffenen wollten dann oft genau wissen, was passiert ist.
Nach bis zum Sonnabend diskutieren rund 550 Mitarbeiter von Rettungsdiensten, Polizei, Feuerwehr und Notfallseelsorger bei dem von der evangelischen Landeskirche Hannovers und dem katholischen Bistum Hildesheim organisierten Bundeskongress darüber, was die seelische Widerstandskraft von Menschen in belastenden Lebenslagen, die Resilienz, stärken kann. Wie der Hamelner Pastor Harms haben viele von ihnen Erfahrungen damit, was Angehörige, Unfallopfer oder die Retter brauchen, um zu besser bewältigen zu können, was eigentlich kaum auszuhalten ist.
Oft im Stillen leisteten Notfallseelsorger eine unschätzbare Hilfe, sagt der Schirmherr des Kongresses in Hannover, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Der Leiter des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen, Lutz Besser, erläutert, die Seelsorger könnten Menschen helfen, sich wieder zu sortieren. "Die Notfallseelsorge trägt, wenn sie gut funktioniert, dazu bei, dass keine chronischen Langzeitfolgen entstehen." Denn schwere traumatische Erfahrungen könnten dazu führen, dass die Selbstheilungskräfte eines Menschen nicht ausreichten, sie zu überwinden.
Seelsorger Harms hat schon mal eine Stunde lang mit einem schockierten Angehörigen geschwiegen. Erst dann hat er versucht zu klären, ob Freunde oder Verwandte kommen sollen. "Auf sehr unterschiedliche Weise versuchen wir ein Stück Normalität wieder herzustellen." Der Kongress erörtert auch, wie Sport, Musik oder ein Netz von Familie, Freunden und Kollegen den Betroffenen von Unglücken helfen können. Das gilt auch für die Notfallseelsorger und Rettungskräfte, die selbst auch belastende Einsätze verarbeiten müssen.
Ein Rezept für seelische Gesundheit gebe es aber nicht, betont der Beauftragte für Notfallseelsorge der hannoverschen Landeskirche, Joachim Wittchen. Was zurückbleibt, wenn etwa Angehörige eine Todesnachricht erhalten oder Helfer diese Schreckensbotschaft überbringen müssen, sei ganz individuell und von der Lebenssituation abhängig.
Die Expertin vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn, Jutta Helmerichs, warnt davor, allein dem Einzelnen die Verantwortung für seine psychische Gesundheit zuzuweisen. Resilienz sei auch zu einem Modebegriff geworden. "Das verstellt den Blick auf gesellschaftliche Missstände", warnt sie. So dürften zum Beispiel schlechte Arbeitsbedingungen nicht auf dem Rücken von Einsatzkräften ausgetragen werden.
"Den einen psychischen Schutzpanzer gibt es nicht", sagt Helmerichs. "Aber es gibt viele Schutzfaktoren, die man stärken kann." Auch Menschen, die völlig unvorbereitet mit einem Unglück konfrontiert werden, brächten Ressourcen mit, die es dann zu stärken gelte, erläutert die Leiterin der Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe im Bundesamt, die deutsche Staatsbürger nach schweren Unglücksfällen, Terroranschlägen und Katastrophen im Ausland unterstützt.
Wo verborgene Kräfte liegen, versucht auch Notfallseelsorger Jürgen Harms aufzuspüren, wenn er jemandem gemeinsam mit einem Polizisten eine Todesnachricht überbringen muss. Ein vorschnell ausgesprochener Trost, hilft nicht, hat der 65-Jährige erfahren. "Die Menschen sind nicht ansprechbar auf Trost, nur auf Nähe."