Startseite Archiv Tagesthema vom 17. Dezember 2016

Engelsflug

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Vierter Advent

Gott schickt seinen Engel nach Nazareth. So beginnt der Weg der Menschwerdung Gottes. In der Welt der Bibel haben Engel mit dem richtigen Leben zu tun. Sie begegnen den Menschen auf dem Acker, mitten in der Schafherde, unterwegs oder in der Kammer.

So auch die Botschaft. Sie spricht mitten ins Leben und verändert es. Es ist ein Engel, der Maria hilft, das Ungeheure, für das sie ausgesucht wurde, zu verstehen: dass sie den Messias zur Welt bringen soll. 

Der Text des vierten Advents malt uns ein vertrautes Bild vor Augen, das zu den häufigsten Darstellungen in der Kunst gehört. Und so wird an diesem Sonntag auch so manche Predigt von einem Bild untermalt sein, das die Begegnung zwischen Gabriel und Maria veranschaulichen hilft.

Maria steht auch in den liturgischen Texten dieses Sonntags im Vordergrund. Nicht als Himmelskönigin, nicht als anbetungswürdige Ikone mit Heiligenstatus – aber als Mutter. Maria wird ausgewählt, weil ein Mensch eine Mutter braucht. Durch Maria kommt Gott in unsere Lebensbedingungen. Maria willigt in den Plan Gottes ein. „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Es gibt da unter den vielen Bildern, die den englischen Gruß darstellen, eines, das sich gänzlich unterscheidet. Da stürzt der Engel kopfüber in Marias häusliche Welt. Plötzlich ist er da. Macht alles hell. Der Engelsflug ist so dynamisch, dass er kurz vor dem Aufschlagen auf den Boden die Kurve kriegt. So kommt Gabriel zwar von oben, aber hier in einer Art Kopfstand eben auch von unten. Wenn Gott zur Welt kommt, geschieht nichts von oben herab.

Das Gesicht der Maria hat die Form eines weißen Ovals vom dunklen Tuch umhüllt. Gesichtszüge sind nicht zu erkennen. Es braucht keine Phantasie, um darin ein einziges großes Ohr zu entdecken. Maria ist ganz Ohr. Sie versteht, was der Engel gesagt hat. Sie hört, was und wozu sie auserwählt wurde, und sie schließt dieses Geheimnis in ihr Herz.

Maria braucht – um im Bild zu bleiben – keine Augen, um zu sehen, was da geschieht. Ihre Ohren „sehen“, ihr Herz sieht. Nicht nur einmal wird uns in der Bibel berichtet, dass dort Glauben entsteht, wo Menschen überführt werden von Ereignissen und Begegnungen, die sie nicht sehen. Wo die Botschaft in meine Welt einbricht. Wo Gott den Vorhang zur Seite zieht und in mein Leben tritt. 

„Dünne Stellen“ nennen alte Kulturen solche Augenblicke, wo im Leben eines Menschen Himmel und Erde sich berühren. Wo Gott in deine Welt einbricht, wie bei der Geburt der eigenen Kinder. Wo uns angst und bange und manchmal freudig klar wird, wie sehr wir an den göttlichen Nabelschnüren baumeln. Wo wir glauben, ahnen, überzeugt sind, dass Gott seine Hand im Spiel haben muss. 

Solche Augenblicke sind selten. Solche Sternstunden kostbar. Meistens sind wir auf der Suche, im Wartestand. Doch Weihnachten erzählt davon, dass schon alles gefunden wurde. Ob wir’s merken oder nicht. Ob wir schon „im Bilde“ sind oder Herz, Augen und Ohren „blind“ bleiben – Gott ist auf der Suche.

Weihnachten mitten in der sichtbaren, materiellen auch befremdlichen Welt überführt uns in eine unsichtbare Wirklichkeit und rührt – trotz allem – an eine dünne Stelle unserer Seele und sagt: Er geht mit uns, und seine Engel wollen uns in dieser Welt begegnen. Es kommt der Sehnsucht nach dem anderen Leben und einer besseren Welt sehr nahe.

Pastor Karl Asbrock

Der Bibeltext

Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir. 

(Aus Lukas 1, 26-38)

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Bild: Wiebke Ostermeier/lichtemomente.net

Der Autor

Pastor Karl Asbrock