Startseite Archiv Tagesthema vom 05. Dezember 2016

Die Wunderkugeln aus der Urzeit

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Igel finden immer weniger Nahrung in der kalten Jahreszeit

Heike Philipps holt zwei kleine Knäuel aus der Wärmebox, in den mit Zeitungspapier ausgelegten Nachbar-Boxen quiekt und raschelt es. Die beiden Igel, die in je eine Hand der Pflegerin passen, wiegen nicht mehr als 100 Gramm. Zum Überwintern in der Natur bräuchten sie mindestens 500 Gramm auf den Rippen. Die drei Monate alten Geschwister sind nur zwei von insgesamt 300 Igeln, die Philipps und ihre 30 Mitarbeiter im "Aktion Tier Igelzentrum" in Laatzen bei Hannover versorgen. Arbeit gibt es rund ums Jahr, erzählt die 63-jährige Ambulanz-Leiterin: "Im Sommer kümmern wir uns um Igel, die von Gartengeräten verletzt wurden, sobald es kühl und nass wird, nehmen wir unterernährte Tiere auf."

Igel gibt es schon seit der Urzeit. "Wunderkugeln" nennt Philipps deshalb die stacheligen Tiere, die unter Naturschutz stehen. "Aber seit der Urzeit haben sich ihre Lebensräume dramatisch verschlechtert." Schuld daran sei der Mensch, bilanziert die Igel-Pflegerin. So gebe es auf Feldern und Äckern immer weniger Hecken und Büsche an den Rändern, in denen Igel Unterschlupf finden könnten. Auch der Einsatz von Insektengift sei im schlimmsten Fall tödlich für den Igel. Denn er finde kaum noch Maikäfer, Asseln oder Ameisen zum Fressen. "Übrig auf der Speisekarte bleiben Schnecken und Regenwürmer, und die sind Parasitenträger und machen die Igel krank."

In diesem Jahr sei es besonders schlimm, berichtet Philipps. "Einige unserer Igel wiegen nur 59 Gramm, die haben seit September gehungert." Im Igelzentrum bekommen die Tiere zweimal am Tag Futter. Morgens um 4 Uhr fangen die Mitarbeiter an, füllen die Futternäpfe auf, reinigen die Boxen und wiegen jeden Igel. Die 300 Tiere sind auf mehrere Räumen verteilt, einer davon ist der "Sorgenraum" für die verletzten Igel. Zweimal pro Woche schaut der Tierarzt vorbei. Im Jahr gibt das Igelzentrum rund 80.000 Euro für seine kleinen Patienten aus. Das meiste davon sind Spenden, öffentliche Gelder gibt es keine.

Philipps, die für ihre Arbeit in diesem Jahr das Bundesverdienstkreuz erhalten hat, ist nur durch Zufall zu den stacheligen Vierbeinern gekommen. Vor 30 Jahren habe sie einen Igel gefunden und in eine Igelstation gebracht, erzählt die 63-Jährige. Die Betreiberin habe sich um Hunderte von Tieren gekümmert. Aus Mitleid sagte Philipps: "Geben Sie mir mal ein paar mit." Schnell wuchs die Zahl der Igel in ihrem Privathaus an, 1986 gründete sie das erste Igelhaus. Wie viele solcher Igelzentren es in Deutschland gibt, lasse sich nur schwer einschätzen. "Viele Stationen werden privat betrieben, vor allem von älteren Damen um die 80 Jahre."

Heute arbeitet die gelernte Bankkauffrau, die jeden Tag Schulkassen durch das Igelzentrum führt, bis zu 30 Stunden in der Woche für die Igel. Eigentlich habe sie längst aufhören wollen, aber dafür bräuchte es eine finanzierte Stelle für einen Nachfolger. "Die Politik sollte sich der Igel annehmen und Geld dafür ausgeben", fordert Philipps. Auch an Privatpersonen hat die 63-Jährige eine große Bitte: Nicht jeden Igel sofort ins Igelhaus bringen. "Wir schaffen hier nicht mehr." Wenn das Tier nicht verletzt sei, könne es mit einem Wassernapf und einer Mischung aus Katzen- und Igeltrockenfutter bei seiner Nahrungssuche unterstützt werden.

Auch das Nabu-Artenschutzzentrum des Naturschutzbundes in Leiferde bei Gifhorn gibt Tipps, was Menschen für den Igel tun können. Da die Tiere gerne von Grundstück zu Grundstück stromerten, helfe ihnen ein Loch im Gartenzaun bei der "Durchreise", sagt Geschäftsführerin Bärbel Rogoschik. Wer seinen Garten außerdem naturnah gestalte und Laub- oder Komposthaufen stehen lasse, biete den Igeln natürlichen Lebensraum. Laubsauger, Müllsäcke oder Mäusefallen dagegen seien von Menschen gemachte Todesfallen. "Wer diese verhindert, hat schon viel für den Igel getan."

Von Leonore Kratz (epd)

Lieber Besen und Rechen nutzen

Der Naturschutzbund Niedersachsen warnt Gartenbesitzer und Stadtgärtner eindringlich vor dem Einsatz von motorgetriebenen Laubsaugern und Laubbläsern im Herbst. Sie sollten stattdessen lieber zu Besen und Rechen greifen oder das Laub auf Beeten und Rabatten einfach liegenlassen, empfahl die Umweltschutzorganisation.

Laubsauger ließen nicht nur Blätter und Pflanzensamen verschwinden, sondern auch viele Kleintiere, die am Boden lebten und dort eine wichtige Funktion erfüllten, sagte Pressesprecher Ulrich Thüre: "Bei Laubsauggeräten mit Häckselfunktion werden sie meist im gleichen Arbeitsgang zerstückelt." Durch das Gebläse würden Laub und Tiere selbst aus den hintersten Winkeln eines Gartens oder einer Grünanlage beseitigt.

Igel, Spitzmäuse und Kröten finden laut Thüre in den Laubschichten Schutz vor der Kälte. Schmetterlingspuppen überwintern dort. "Wer im nächsten Jahr Singvögel, Schmetterlinge, Käfer und Igel in seinem Garten genießen will, sollte die Motorheuler in der Ecke stehenlassen."

Sinnvoller sei es, Laubhaufen für Kleintiere und Igel anzulegen oder die Blätter zu kompostieren. Unter Sträuchern und Stauden sollten Blätter unbedingt liegenbleiben, erläuterte der Umweltexperte. Sie schützten als natürlicher Wintermantel den Boden vor dem Austrocknen und Pflanzenwurzeln sowie Blumenzwiebeln vor Frost: "Blätter sind ein wichtiger Teil im ökologischen Nährstoffkreislauf der Natur."

epd

Spendenkonto des Igelzentrums

Begünstigter: IGSI e.V.

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BIC: GENODEF1PAT