Startseite Archiv Tagesthema vom 23. November 2016

„Es wird offen und unverschämt gelogen“

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Landesbischof Ralf Meister beleuchtet in seinem Bericht vor der Synode den Populismus aus verschiedenen Perspektiven – Auszüge aus der Rede

Der Populismus, wie er zuerst im Sommer in England in der Brexit-Debatte und dann im amerikanischen Wahlkampf die öffentliche Meinung bestimmte, irritierte und entsetzte viele Menschen. Doch er hat Millionen von Menschen erreicht und zu Anhängern gemacht. Es gab durchaus Parallelen zur Polemik Martin Luthers und den ordinären und wüsten Ausfällen zwischen den Gegnern in der Reformation. Wir konnten darin auch entdecken, wie weitestgehend gepflegt und teilweise auch formalisiert sich bisher die öffentliche politische Kommunikation in den westlichen Demokratien und in unserem Land vollzog. Umso überraschender waren deshalb die harschen und verletzenden Ausfälle von Teilen der politischen Eliten; von der Beteiligung in den sozialen Netzwerken ganz zu schweigen.

Populismus ist also populär geworden, populär aber ist etwas anderes als Populismus. Populär heißt: bei der großen Menge bekannt, anerkannt und beliebt zu sein. Das betrifft die Rolling Stones genauso wie Mario Götze oder Sebastian Vettel. Beide Begriffe Populismus wie populär haben dieselbe Wurzel, sie beziehen sich auf das lateinische popularis, also zum „Volk gehörend“.

Bei Menschen, die populär sind, spielt dieses „zum Volk gehörend“ in der Regel keine Rolle: Jürgen Klopp – übrigens ein Botschafter für unsere Reformation - ist in England genauso populär wie in Deutschland.  Popularität ist inzwischen in der Unterhaltungs- und Sportbranche, teilweise aber auch schon in der Politik, international. Im aktuellen Populismus zeigt sich dagegen oft der nationale Bezug zum Volk. Selbst dann, wenn sich völkische Populisten inzwischen über Landesgrenzen hinweg verbrüdern. Innerhalb der Reformation wurde von einem Teil der Bewegung dieser Aufbruch auch als eine nationale Bewegung verstanden.

Ich möchte einige Akzente skizzieren, die uns in dieser neuen Redeunkultur als Kirche zu denken geben. Und das nicht nur, weil wir selbst in einer gesellschaftspolitischen Verantwortung stehen, also mit dem öffentlichen Wort agieren, sondern auch, weil die Sprache und das Reden zum Kern unseres Auftrags gehören. Verstehen Sie das Kommende also bitte nur als kleine Skizze zum Populismus.

Bild: Jens Schulze

Viele unglaubliche Reden, die wir in den vergangenen Monaten in den zwei ältesten Demokratien gehört haben, ignorierten Fakten. Sie passten in das „postfaktische Zeitalter“. So wurden allgemeine Gewissheiten und Haltungen durch Ignoranz, Verdächtigungen und Lügen erschüttert. Gewiss, es ist leichter geworden in der komplizierten Welt, in der niemand alle Wissensbestände kennt, Informationen einfach zu ignorieren. Wir werden unter der Flut der Information quasi begraben. In der Wissensexplosion ist jede abgewogene Urteilsbildung ein mühsames und aufwendiges Geschäft. Eine Aufgabe, die Faktenkenntnis und Argumente braucht, nicht nur Emotionen und Atmosphäre. Eine Aufgabe, die Abwägung und Urteilsbildung verlangt, nicht like-buttons und Hassparolen.

Sicher, Populismus kann auch tolerant sein. Aber es ist immer eine partikularistische Toleranz. Populismus akzeptiert zwar Verschiedenheit, aber eben nicht den Austausch, eben nicht das Zusammenleben, eben nicht die Vermischung des Verschiedenen.

Bild: Jens Schulze

Es wird viel gelogen. Das ist nicht neu. Aber so offen und unverschämt, wie von gesellschaftlichen Eliten, übrigens auch den wirtschaftlichen, in den vergangenen Monaten gelogen wurde -  das ist ungewohnt in unseren Demokratien. Es ist vielfach analysiert worden, mit welchen falschen oder verzerrten Positionen, Meinungen mobilisiert werden, um damit Zorn oder Hass hervorzurufen.

Der Effekt ist immer der gleiche: Haltungen werden demontiert. Am längsten ist die Liste der Lügen von Donald Trump. Übrigens hatte die Wahrheit auch keine Lobby während der Debatte um den Brexit. „Wahrheit heißt Zusammenhang; Wahrheitssuche ist aus auf Zusammenhang“.

Viele Menschen wollen keine Zusammenhänge verstehen. Wahrheit interessiert sie nicht. Ihre Stimmungslage, ihre Identität mit den persönlichen Problemen und Betroffenheiten soll zum Maßstab der Politik werden. Identitätspolitik wird zur rhetorischen Geste, die so viel aussagt wie ein Statement auf dem T-Shirt.

Eine Stimmung wird geschürt, die Rassismus salonfähig macht, die entwürdigt und verletzt. Irgendetwas - so hofft man - bleibt von diesen Verzerrungen und öffentlichen Beschädigungen von Personen oder Minderheiten in der öffentlichen Meinungsbildung haften.

Bild: Jens Schulze

Kirche und Populismus

Was können wir tun? Gibt es eine spezifische Aufgabe der evangelischen Kirche?

Heribert Prantl schreibt in der Süddeutschen Zeitung , dass es jetzt darum gehen müsse, mit den „Mitteln der Komplexitätsreduktion“ glühend für „rechtsstaatliche Grundrechte und Grundwerte glühend zu werben".

Ich bin etwas skeptisch, ob die Anwendung der Mittel des Populismus wirklich die einzige Lösung ist. Aber wo ich Prantl zustimme: Wir müssen viel eingängiger herausstellen: Die Werte, die für uns als Staat – und ich ergänze: als Kirche - grundlegend sind, entsprechen den Bedürfnissen der Menschen in unserer Gesellschaft unendlich viel mehr als jede populistische Versprechung.

Im Folgenden möchte ich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit - mehrere Handlungsfelder skizzieren, auf denen ich unsere evangelische Kirche in der Verantwortung sehe, ihrerseits dem neuen Populismus mit wahrhaftigen Antworten zu begegnen.

Evangelische Kirche ist aus einer Institutionskritik entstanden. Martin Luther wollte die Kirche nicht zerstören oder in einen hochflexiblen geistlichen Apparat verwandeln, der sich den Trends und Stimmungen der Moderne anpasse. „Als Gemeinschaft, deren „Wesen“ gerade darin besteht, sich immer wieder und immer neu selbst überflüssig zu machen, ist die Kirche des Evangeliums im Sinne Luthers ein in der Geschichte des Christentums neuartiges institutionelles Phänomen." In dieser „Wesensbestimmung“ unserer Gemeinschaft sind wir, angesichts populistischer Schlaglichter herausgefordert.

Bild: Jens Schulze