"Seebrücke der Erinnerung"
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Ostfriesischer Reeder bietet nach Seebestattungen einen Ort zum Trauern
Das Ehepaar Wilhelm (Name geändert) kommt fast täglich zur "Brücke der Erinnerung". Der Steg führt ein paar Meter weit in das Wattgebiet und mündet auf einer Plattform mit Blick auf die Inseln Wangerooge und Spiekeroog. "Dort vor den Inseln haben wir vor zwei Jahren die Urne unsere Tochter im Meer versenkt." Frau Wilhelm geht noch einmal mit einem Ledertuch über eine Edelstahlplakette, die an einer Stele auf der "Brücke der Erinnerung" geschraubt ist. Auf der elf mal acht Zentimeter großen Platte sind der Name, Geburts- und Sterbedatum und die Koordinaten der Bestattung ihrer Tochter verzeichnet.
Die "Brücke der Erinnerung" wurde von Dieter Albrecht gebaut und im Frühjahr eingeweiht. Er führt als Senior-Chef die Seebestattungs-Reederei Albrecht. "Ich konnte mir das nicht länger mit ansehen", erinnert sich der 67-Jährige." Fast täglich hatte er beobachtet, dass Trauernde sich durch ein Wirrwarr von Wohnmobilen mit Urlaubern einen Weg an den Deich suchten, um dort ein paar Blumen abzulegen. "Da wurde mir klar, die Leute brauchen einen Ort zum Trauern. Die haben keinen Friedhof, wo sie mit ihrer Trauer hin können."
Täglich legt das Motorschiff "Horizont" mit einer Trauergesellschaft an Bord im Hafen von Harlesiel ab, um die Überreste eines Menschen auf See zu bestatten. "Da muss es schon sehr stürmisch sein, bevor wir eine Fahrt verschieben", sagt Kapitän Albrecht. Die meisten werden im Wattenmeer vor den Ostfriesischen Inseln beigesetzt. "Aber wenn es gewünscht wird, fahren wir auch weiter raus bis nach Helgoland." Ein besonderer Service der Reederei ist die Seebestattung im Ausland: "Fast täglich ist einer unserer Mitarbeiter im Flieger mit einer Urne unterwegs."
Am Ort der Beisetzung angekommen, hält ein Pastor oder - wie in den meisten Fällen - der Kapitän eine Traueransprache. "Dann wird die Urne mit einer Schlinge in die Nordsee gelassen." Sie sollte noch rund fünf Minuten schwimmen, damit die Trauernden ein paar Blumen hinterherwerfen können. "Das ist eine ernste Sache und keine Entsorgung", unterstreicht Albrecht. "Hinter jeder Urne steht ein gelebtes Leben. Unsere Kapitäne wissen und respektieren das." Sie alle sind ausgebildete Trauerredner. Die "Horizont" dreht dabei noch zwei Ehrenrunden um die Urne, bis sie endgültig versinkt und sich auflöst. "Außer den auf den Wellen treibenden Blumen bleibt da nichts", sagt Albrecht.
Die oft bunt mit Sonnenuntergängen oder Leuchttürmen bemalten Urnen mit der Asche der Toten sind aus Kreide, Kalk oder Pappmaché gefertigt. "Der Gesetzgeber verlangt, dass die Urnen sich in spätestens 24 Stunden aufgelöst haben." Doch meist gehe dies viel schneller.
"Vor allem die Witwen brauchen einen Ort zum Trauern", hat Albrecht beobachtet. Ihre Männer hätten zu Lebzeiten eine Seebestattung verfügt. "Aber die Frauen brauchen einen Ort, wo sie hingehen können." Zwar fahre die "Horizont" 28 Mal im Jahr zu einer Erinnerungstour auf die Nordsee: "Aber das reicht nicht." Bei den Vorbereitungstreffen frage er die Witwen stets, ob die Seebestattung wirklich das Richtige sei. Viele würden ihren Mann lieber auf einem Friedhof in der Erde begraben. "Aber gegen den Letzten Willen eines geliebten Menschen kommt man nicht an."