Luther mit verbundenen Augen
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Interview mit Landesbischof Ralf Meister zu Luthers Judenhass
Evangelische Theologen aus Hannover haben am Mittwoch dem Luther-Denkmal vor der zentralen Marktkirche in der Stadt die Augen verbunden. Die Aktion am Jahrestag der Reichspogromnacht solle an die Judenfeindlichkeit Martin Luthers (1483-1517) erinnern und zum Einsatz gegen Antisemitismus auffordern, sagte die kirchliche Beauftragte für Kirche und Judentum, Professorin Ursula Rudnick. Gemeinsam mit Marktkirchenpastorin Hanna Kreisel-Liebermann legte sie der Statue des Reformators eine Augenbinde aus gelbem Stoff an.
Auch der hannoversche Landesbischof Ralf Meister beteiligte sich an der Aktion.
Rudnick sagte, die Augenbinde sei Ausdruck von Luthers Blindheit und Verblendung gegenüber den Juden und dem Judentum. Seine judenfeindlichen Schriften seien insbesondere Ende des 19. Jahrhunderts und im Nationalsozialismus von Christinnen und Christen sowie Kirchenleitungen aufgegriffen worden, um den eigenen Antisemitismus zu legitimieren. "Die Kirche trägt die Verantwortung für die Schuld der vorangegangenen Generationen und die in ihrem Namen begangenen Untaten und Verbrechen."
Die Theologin rief dazu auf, vor allem bei den Feiern zum 500. Reformationsjubiläum kritisch mit dem judenfeindlichen Erbe des Reformators Luther umzugehen. Aufgabe sei es, "jeder Form von Judenfeindschaft und -verachtung zu widerstehen und ihr entgegenzutreten". An der Veranstaltung nahmen auch jüdische Vertreter teil, unter anderem der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Niedersachsens, Michael Fürst.
In der Nacht zum 10. November vor 78 Jahren zerstörten Nationalsozialisten überall in Deutschland jüdische Geschäfte und brannten Synagogen nieder, darunter die große Synagoge von Hannover.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass in der Nacht mehr als 1.300 Menschen getötet und mindestens 1.400 Synagogen in Deutschland und Österreich stark beschädigt oder zerstört wurden. Das öffentliche Leben der Juden in Deutschland kam danach völlig zum Erliegen.
Vor dem Gedenktag an die Reichspogromnacht am 9. November hat der hannoversche Landesbischof Ralf Meister dazu aufgerufen, dem Antisemitismus entgegenzutreten und Begegnungen zwischen Christen und Juden zu suchen. 500 Jahre nach der Reformation durch Martin Luther müssten sich die Kirchen auch mit den dunklen Seiten von Luthers Theologie auseinandersetzen, sagte der evangelische Bischof im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Meister unterstützt eine Aktion, bei der in Hannover einer Luther-Statue die Augen verbunden werden sollen, um symbolisch an die Judenfeindschaft des Reformators zu erinnern.
epd: Luther eine Augenbinde anzulegen - was kann so eine Aktion bringen?
Meister: Das ist eine starke symbolische Handlung, eine künstlerische Inszenierung, die Aufmerksamkeit erregen wird. Diese Geste fordert aber auch aktiv, die Beziehungen zu unseren jüdischen Geschwistern zu vertiefen.
epd: Sie rufen zur kritischen Auseinandersetzung mit Luthers massiven Vorurteilen und polemischen Positionen zu den Juden auf. Wirkt sich sein Judenhass bis heute aus?
Meister: Schon Ihre Frage zeigt ja, dass das - in welcher Weise auch immer - der Fall ist. Heute zeigen wir uns lernfähig und kommentieren die Schriften Luthers zu den Juden sehr kritisch. Und die Kundgebung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 2015 hatte den bezeichnenden Titel "Martin Luther und die Juden - Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum". Für die Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit nächstes Jahr ist eine weitere Erklärung geplant. Zum Reformationsgedenken gehört eben auch die kritische Auseinandersetzung mit Luthers Schriften und den unsäglichen Wirkungen von Zitaten aus diesen während der Zeit des Nationalsozialismus.
epd: Was würden Sie anregen?
Meister: Neben der kritischen Aufarbeitung antisemitischer Einstellungen sollten sich die Kirchen für die stärkere Aufnahme des Themas Judentum im Schulunterricht, in Ausbildungen und Fortbildungen einsetzen. Gleichzeitig finde ich es sehr wichtig, dass unsere Gemeinden den Kontakt zu jüdischen Gemeinden aufnehmen oder die vielen guten Beziehungen vertiefen. Wir haben zwar einerseits einen eingeübten christlich-jüdischen Dialog, andererseits stelle ich in Gesprächen immer wieder fest, wie wenig Christen und Juden manchmal voneinander wissen.
Wenn wir auf den Weg schauen, den die Kirchen in ihrem Verhältnis zum Judentum seit 1945 zurückgelegt haben, dann können wir ihn als Lernprozess verstehen. Die evangelischen Kirchen haben ihr Verhältnis zum Judentum theologisch neu bestimmt, jede Form der Judenfeindschaft verworfen und zur Begegnung mit dem Judentum aufgerufen. Ich hoffe, dass solche Lernprozesse in der Breite der Gesellschaft, von Institutionen, Bildungsträgern und Organisationen weiter angestoßen und engagiert vorangetrieben werden. Und zugleich müssen wir unsere öffentliche Stimme laut und klar gegen jede Form des Antisemitismus erheben. Wir stehen untrennbar neben unseren jüdischen Geschwistern.