Startseite Archiv Tagesthema vom 12. Oktober 2016

Trommeln und Ratschen in der Synagoge

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Schüler komponieren aus Klängen eines jüdischen Gebetshauses Musikstücke

Der 16-jährige Leon hämmert mit Schlagzeugstöcken auf den Knauf der Tür mit dem Davidstern. Eine Klassenkameradin trommelt vorsichtig an die bunten Glasfenster der Jüdischen Gemeinde Hannover: "Nicht, dass etwas kaputt geht."

Komponist David Borges ermutigt sie: "Das kannst du ruhig etwas lauter machen." Zusammen mit den Schülern sucht er in der Synagoge ungewöhnliche Geräusche. Aus dem Klingeln, Klopfen und Klirren komponieren sie ein Musikstück.

Ilyana (15) schreitet eine Stuhlreihe entlang und klatscht mit der flachen Hand wenig zimperlich im Takt gegen die Rückenlehnen. "Das ist mal was anderes als normaler Musikunterricht", sagt sie. Kirchenmusiker der Landeskirche Hannovers suchen seit 2015 mit unterschiedlichen Angeboten nach neuen Wegen, kirchliche Musik zu vermitteln. Im Projekt "Klangradar" sollen Jugendliche in der Synagoge sowie in einer evangelischen und einer katholischen Kirche Geräusche, Hall und Akustik erkunden. Dabei lernen die Schüler auch etwas über die Geschichte der Gebäude und die Religionen.

Am 3. November wollen die Schüler ihre Werke in einem Konzert präsentieren. Mit einem Bus sollen Musiker und Publikum dann in die Synagoge und die beiden Kirchen in Hannover und Sarstedt bei Hildesheim fahren. Die Stücke können nur dort aufgeführt werden, wo sie einstudiert wurden.

Zehn Wochen lang machen sich die Zehntklässer der Tellkampfschule aus Hannover jeden Dienstagmorgen in der Synagoge auf Entdeckungsreise: Wie klingt das Geländer der Empore, wie der Fußboden? Welches Geräusch entsteht, wenn man mit den Fingernägeln an Wänden oder über Gesangbüchern schabt oder streicht? Wie stark hallt es, wenn jemand ruft?

Anfangs seien die Jungen und Mädchen sehr zurückhaltend und unsicher gewesen, sagt Projektleiter Ulf Pankoke. Viele hätten noch nie zuvor eine Synagoge von innen gesehen und nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollen. "Inzwischen fühlen sie sich fast wie zu Hause." Mit der akustischen Spurensuche sei das Interesse der Schüler an religiösen Symbolen des Judentums und der Einrichtung der Synagoge ganz von selbst entstanden, sagt Pankoke. Deshalb habe der Gemeinde-Kantor sich Zeit genommen und sich ihren Fragen gestellt.

Katharina Hamel (epd)

Konzert am 3. November

Musik-Lehrer Rainer Klugkist lobt den "Ohren-Öffner-Effekt" des Projekts. Die Schüler lernten beim Ausprobieren, genau hinzuhören. Außerdem sammelten sie Erfahrungen im Komponieren.

Noten müssen sie dafür nicht lesen. Sie haben eigene Systeme entwickelt, wie sie ihr Werk auf Papier festhalten. Mit Quadraten, Dreiecken, Sternchen und Strichen kennzeichnen sie, welcher Musiker zu welchem Zeitpunkt mit welchen Geräuschen einsetzt. "Ist irgendwie einfacher", erklärt ein Junge.

Die erste halbe Minute ihrer Kompositionen haben alle Schüler bereits gefüllt. Eine Minute lang sollen die Stücke werden. Aaron (15) starrt angestrengt auf sein Smartphone mit der Partitur und wartet auf seinen Einsatz. "Ihr müsst lauter zählen", ruft er seinen Mitschülern zu. Dann ist er dran: Genüsslich setzt er die Trommelstöcke auf die Lamellen der Empore und läuft los. Ratsch!