Der Glaube meines Nachbarn
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Ein Buch stellt 11 Glaubensgemeinschaften vor und zeigt, wie sie in der Landeshauptstadt heimisch geworden sind
EMSZ Redaktion: Was waren für Sie die beeindruckensten Begegnungen während der Forschung für das Buch?
Annedore Beelte-Altwig: Da gibt es sehr viele. Einige der eindrucksvollsten Begegnungen waren die mit den Menschen, die in den verschiedenen Religionen Kranke, Sterbende und Trauernde begleiten: zum Beispiel eine jüdische Altenpflegerin, ein muslimisches Bestatter-Ehepaar oder ein buddhistischer Arzt im Ruhestand. Es scheint nicht nur die Aufgabe von Religion zu sein, den Menschen Hoffnung zu geben, dass der Tod nicht das Ende ist. Ganz wichtig ist auch, ihnen das Gefühl zu vermitteln dazuzugehören, solange sie leben.
EMSZ-Redaktion: Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse/Beobachtungen?
Beelte-Altwig: Die Vielfalt des religiösen Lebens in Hannover hat mich wirklich überrascht. Die Mitglieder der beiden großen Kirchen machen nur noch eine Minderheit der Bevölkerung in Hannover aus. Aber wenn man aufmerksam durch die Stadt geht, muss man wirklich sagen, dass Religion sehr präsent ist in Hannover. Es sind alleine 127 christliche Gemeinden, die einverstanden waren, dass wir sie in das Buch aufnehmen, und 26 muslimische. Seit den 1990er und 2000er Jahren ist die Vielfalt an Gemeinschaften verschiedener Sprachen und Kulturen enorm gewachsen, und auch aktuell sind viele Gemeinschaften auf der Suche nach neuen oder größeren Räumlichkeiten. Zum Beispiel wird es demnächst auch ein Zentrum der Bahai in der Landeshauptstadt geben.
Es ist beeindruckend, wie viel ehrenamtliches Engagement in den Gemeinden geleistet wird. Zum Beispiel unterrichten alleine im Moscheezentrum am Weidendamm 75 ehrenamtliche Lehrerinnen und Lehrer rund 600 Schülerinnen und Schüler. In den Moscheegemeinden wird nicht nur religiöse Bildung vermittelt, die Kinder werden auch in ihrer schulischen Karriere gefördert, etwa durch Nachhilfe und Mentoring-Programme.
EMSZ-Redaktion: Warum ist dieses Buch für Hannover so wichtig und was können davon auch andere Städte und Deutschland lernen?
Beelte-Altwig: Hannover ist eine sehr multikulturelle Stadt. Aber wir wissen ziemlich wenig über den Glauben unserer Nachbarn, Arbeitskollegen oder Mitschülerinnen. Im Haus der Religionen erleben wir immer wieder, dass Menschen, die schon lange zusammen arbeiten oder lernen, zum ersten Mal miteinander über ihren persönlichen Glauben ins Gespräch kommen. Das löst ganz häufig Aha-Erlebnisse aus.
In unserer Zeit gibt es viele Vorbehalte und Missverständnisse beim Thema Religion, etwa was religiöse Symbole in der Öffentlichkeit oder den Zusammenhang von Religion und Politik betrifft. Es wäre schön, wenn wir mehr miteinander statt übereinander sprechen und die Bilder in unseren Köpfen hinterfragen würden. Dazu wollen wir mit dem Buch Mut machen: Sich selbst zu den religiösen Orten in der Nachbarschaft auf den Weg zu machen, Gelegenheiten zum Gespräch wahrzunehmen.
In Hannover haben sich mit dem Forum und dem Rat der Religionen Gremien gebildet, in denen vertrauensvoll interreligiös zusammengearbeitet wird. Diese Gremien oder auch die multireligiösen Friedensgebete in der Marktkirche sind zum Vorbild für andere Städte geworden.
Auch in anderen Städten sind in verschiedenen Formaten Werke entstanden, die die religiöse Vielfalt vor Ort dokumentieren. Was wir bei dem Buch „Religionen in Hannover“ anders gemacht haben, ist die journalistische Form: Es gibt Reportagen, Porträts, Interviews – kurze Texte, die ansprechend zu lesen sein sollen und möglichst authentische Momentaufnahmen vermitteln. Dazu kommen eindrucksvolle Fotos der Fotografen Jens Schulze und Patrice Kunte und die hochwertige Gestaltung des Grafikers Roger Heimann. Alles zusammen soll neugierig auf mehr, auf die persönlichen Begegnungen mit den Religionen machen.
Die Fragen an Annedore Beelte-Altwig stellte Diana Schild