Startseite Archiv Tagesthema vom 06. August 2016

Gnadenmomente

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11. Sonntag nach Trinitatis

Die Athletinnen und Athleten, die gerade in Rio um olympische Medaillen kämpfen, mussten (fast) alle bestimmte Leistungen erbringen und sich gegen die Konkurrenz im eigenen Land durchsetzen, um ihr Olympia-Ticket zu lösen. Ähnlich läuft das bei den meisten großen Sport-Events ab, die Milliarden von Menschen begeistert vor dem Fernseher oder beim Public Viewing verfolgen. Leistung fasziniert, Spitzenleistungen noch mehr.

Das Leistungsprinzip prägt unser Leben vom Kindesalter an. Auch für die Erstklässlerinnen und Erstklässler, die in diesen Tagen eingeschult werden, wird eine Beurteilung ihrer Leistungen bald ganz selbstverständlich dazu gehören. In der Schulzeit und später in der Ausbildung, im Studium und im Beruf müssen wir festgelegte Kriterien erfüllen, um die Chance zu haben auf einen Abschluss, den gut bezahlten Job oder die Beförderung.

Dieses Leistungsdenken ist ohne Zweifel eine wichtige Facette im Leben. Doch auf Dauer kann es anstrengend werden, wenn ich mein Leben immer nur nach der Erfüllung von Normen ausrichte, die andere mir setzen – oder ich mir selbst.

Denn mein Leben ist mehr als das. Es gibt Bereiche, die nicht nach dem Leistungsprinzip funktionieren: Liebe und Freundschaft, das Miteinander in der Familie, das Gebet, das mich im Gottesdienst berührt. Oder die Melodie, die ich aus dem Konzert mit nach Hause nehme. Die Bibel nennt das Gnade.

Gnade sind Beziehungen, Begegnungen und Erlebnisse, in denen ich spüren kann, dass mein Leben mehr ist als das Streben nach Noten, die Erfüllung von Vorgaben oder das Schielen auf den nächsten Karriereschritt. Diese Gnade ist Gottes Geschenk an uns Menschen – ganz unabhängig davon, was ich leiste oder welche Stärken und Schwächen ich habe.

Gnade trägt, wenn unser Leistungsdenken an seine Grenzen gerät. Indem uns jemand in den Arm nimmt, weil es im Beruf nicht so läuft wie gedacht. Wenn Freunde da sind und zuhören nach der Diagnose, die alle Pläne in Frage stellt. Wenn der Zuspruch und das Miteinander Kraft spenden beim Abschied nehmen von einem geliebten Menschen.

Gnade in meinem Leben zu entdecken, bleibt immer eine Herausforderung. Weil sie eben keinen festgelegten Kriterien unterliegt. Es gibt keine Automatismen, die es mir möglich machen, auf diese Gnade nach Belieben „zuzugreifen“.

Mir bleibt nur, immer wieder darauf zu vertrauen, dass es diese besonderen Gnadenmomente in meinem Leben gibt – weil ich sie erlebt habe. Weil die biblischen Geschichten uns von solchen Gnadenmomente erzählen. Und manchmal reicht das schon, um mit den Anforderungen in meinem Leben ein Stück gelassener umzugehen. Weil ich weiß: Es gibt mehr als das.

Pastor Benjamin Simon-Hinkelmann

Der Bibeltext

Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. (Aus Epheserbrief 2, 4-10)

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Bild: Wiebke Ostermeier/lichtemomente.net

Der Autor

Benjamin Simon-Hinkelmann ist Stellvertretender Pressesprecher der Landeskirche Hannovers