Startseite Archiv Tagesthema vom 28. Juli 2016

Fremd heißt nicht „problematisch“

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Religiöse Vielfalt ist heute eine Selbstverständlichkeit. Um sich als Christ oder Christin in dieser Pluralität bewusst zu verorten, sind Informationen und  Orientierungshilfe unerlässlich, besonders in Bezug auf religiöse Sondergruppen oder Sekten.

Diesem Anliegen hat sich Pastor Jürgen Schnare verschrieben. Er ist Referent sowohl für Weltanschauungsfragen als auch östliche Religionen im Haus kirchlicher Dienste und ein Experte für religiöse Gruppierungen und deren Einschätzung. Zu seinen Aufgaben gehört es, Betroffene aber auch kirchliche oder staatliche Stellen zu informieren und zu beraten und darüber hinaus Hauptamtliche in Pfarramt und Religionspädagogik fortzubilden. Darum hat er mit Kollegen gemeinsam das „Handbuch Weltanschauungen“ völlig überarbeitet und eine Reihe Artikel dafür geschrieben. Das über 1000 Seiten starke Buch gilt als Standardwerk in diesem Bereich.

Schnare rät dazu, im Umgang mit anderen und vielleicht fremden religiösen Gruppen keine Angst zu haben. Hier sieht er schon eine positive Entwicklung in den letzten Jahren:  „Wo früher die Angst und Unwissenheit vor vermeintlich gefährlichen Glaubensgemeinschaften überwog, gibt es heute eine differenziertere Wahrnehmung. Selbstverständlich gibt es weiterhin Gruppierungen, die gefährlich werden können und kritisch zu sehen sind. Aber nicht alles, was uns fremd erscheint, ist gleich problematisch!“

Der 59-Jährige bildete sich im Rahmen eines besonderen Qualifizierungsprogrammes in den neunziger Jahren fort, das von der Landeskirche eingerichtet wurde, um den damaligen Weltanschauungsbeauftragten im Haus kirchlicher Dienste  zu entlasten. Schon während seines Theologie-Studiums festigte sich für Schnare seine Grundeinstellung, andere Religionen ernst zu nehmen. Im Folgenden war unter anderem seine Tätigkeit in der Redaktion eines theologischen Lexikons ausschlaggebend für den weltanschaulichen Interessenschwerpunkt im Beruf. Im Gemeindepfarramt war Schnare Beauftragter für Weltanschauungsfragen in seinem Kirchenkreis. Seit 2004 ist er als Beauftragter für Weltanschauungsfragen im Haus kirchlicher Dienste der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers tätig.

Das „Handbuch Weltanschauungen, religiöse Gemeinschaften, Freikirchen“ gilt als Standard- und Nachschlagewerk. Bild: Gunnar Schulz-Achelis/HkD

Er wirkte als Autor an der neuen Auflage des „Handbuchs Weltanschauungen, religiöse Gemeinschaften, Freikirchen“ mit, das im Auftrag der Vereinigten evangelisch-lutherische Kirche in Deutschland (VELKD) entstanden ist. Im mehrjährigen Arbeitsprozess des Handbuchs war der „Ausschuss Religiöse Gemeinschaften“ federführend, dessen stellvertretender Vorsitzender Schnare ist. Das Handbuch wird als Traditionsreihe schon seit 1977 von der VELKD verantwortet. Es möchte Informationen über die verschieden Gruppen zusammentragen, diese systematisieren und auch weiterführende Hinweise im Bereich der Seelsorge und Beratung geben. So kann es in den Landeskirchen Quelle grundlegender seriöser Information und als Hilfestellung für Amtshandlungen und Entscheidungsfindungen dienen, bei denen andere religiöse Gruppen involviert sind. Ursprünglich standen klassische Freikirchen im Mittelpunkt des Handbuchs, das in seiner kontinuierlichen Weiterentwicklung immer weiter ergänzt und überarbeitet wird. In der neuen Auflage sind zum Beispiel auch neue atheistische Gruppen vertreten.

Schnare steuerte zur neusten Auflage unter anderem Artikel zu Baptisten und Bahai, aber auch zu Gruppen und Strömungen im Kontext der östlichen Religionen bei, zum Beispiel zur hinduistischen Transzendentalen Meditation oder zum aus buddhistischer Tradition entstandenem Christlichen Zen. Jeder Artikel erläutert etwas zur Geschichte der Gruppierung, seiner Lehre und seinen Riten und gibt am Ende eine Einschätzung aus christlicher Sicht mit praktischen Ratschlägen, ergänzt durch Literaturhinweise.

Als Referent für östliche Religionen ist neben der Information über diese Strömungen der interreligiöse Dialog ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit. Oft ist Schnare zusammen mit seiner Frau Eva privat nach Fernost gereist und hat vor Ort viel gesehen und gelernt. In der Auseinandersetzung entdecke man Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten, so Schnare. Die Basis für einen Dialog sei Offenheit auf beiden Seiten. Unbekanntes nicht abzuwerten, sondern wahrzunehmen, was dem Anderen wichtig ist, das gelingt für ihn, wenn man sich zuhört und erklärt. Schnare schätzt an seiner Arbeit besonders, dass er Menschen seelsorglich und begleitend beistehen kann. „Dinge zu entdecken die Menschen wichtig sind und die sie bewegen“, dass ist für ihn eine Möglichkeit Erfahrungen zu machen, die „über den Tellerrand hinaus gehen“.   

Das Buch ist im Handel erhältlich und kostet 98 Euro.
Pastor Jürgen Schnare hat schon die Schuhe ausgezogen, bevor er einen Hindutempel in Allahabad in Nordindien betritt. Bild: Eva Küpper-Schnare

Kirchen müssen offene Orte bleiben

Nach dem Mordanschlag in einer französischen Kirche haben Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche die Tat verurteilt und zugleich den Zusammenhalt der Religionen angemahnt. "Wir trauern mit unseren katholischen Geschwistern in Frankreich und suchen mit den Muslimen bei uns das Gespräch", sagte der Geistliche Vizepräsident des hannoverschen Landeskirchenamtes, Arend de Vries, am Mittwoch dem epd. "Unsere Gotteshäuser sollen allen offen stehen und Orte der Begegnung sein - für die Menschen untereinander und mit Gott", fügte der leitende evangelische Theologe an.

Dass Terroristen einen Gottesdienst überfielen und einen Priester töteten, zeige die ganze Menschenverachtung hinter ihrer verblendeten Ideologie, sagte de Vries. Die Opfer seien die Märtyrer, nicht aber die Täter. "Es ist ungeheuer wichtig, dass Menschen aller Religionen, hier Christen und Muslime, deutlich machen, dass dieser Terrorismus keinen religiösen Anhalt hat, sondern sich mit solchen Taten als Zerrbild einer Religion demaskiert", betonte er.

Auch der katholische Prälat Peter Kossen aus Vechta warnte davor, anderen Religionen von vornherein mit Misstrauen zu begegnen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass solche Taten die Gesellschaften in Europa spalten", sagte er der "Oldenburgischen Volkszeitung" (Mittwochsausgabe). Dann erreichten die Täter ihr Ziel.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärte in Hannover: "Kirchen sind Orte des Friedens, der Einkehr und des Gebets. Sie sind einladende Orte, an denen Menschen Zuflucht finden, auch und gerade in Situationen von Sorge und Not." Dass offene Orte auch verletzlich seien, habe sich bei der brutalen Gewalttat in Frankreich auf abscheuliche Weise gezeigt.

"Einen absoluten Schutz kann es für die jährlich mehr als eine Million evangelischen Gottesdienste und rund 200.000 Gemeindeveranstaltungen in Deutschland ebenso wenig geben wie für jede andere öffentliche Veranstaltung", sagte ein EKD-Sprecher dem epd: "Bei Großveranstaltungen - wie etwa zentralen Gedenkgottesdiensten - stehen die jeweiligen Organisatoren vor Ort natürlich in Kontakt mit der Polizei."

In der katholischen Kirche in Saint-Etienne-du-Rouvray bei Rouen hatten am Dienstag offenbar islamistische Attentäter einen Priester ermordet. Bei der Geiselnahme wurden die beiden Täter von der Polizei erschossen. Eine Geisel wurde laut französischem Innenministerium schwer verletzt. Politiker wie auch Vertreter religiöser Gemeinschaften äußerten sich entsetzt über die Tat.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat in einem Kondolenzschreiben an den katholischen Erzbischof von Rouen, Dominique Lebrun, seine Trauer und sein Entsetzen zum Ausdruck gebracht. "Ihren Schmerz können wir nur erahnen", schreibt Bedford-Strohm, der auch bayerischer Landesbischof ist. Bedford-Strohm und der katholische Passauer Bischof Stefan Oster unterstützen die Mitmach-Aktion #nächstenliebejetzt des Evangelischen Presseverbandes für Bayern (EPV). Nach den Gewalttaten der vergangenen Tage ruft das zentrale evangelische Medienhaus in Bayern die Menschen dazu auf, sich als Geste gegen Hass und Angst gegenseitig die Hand zu reichen und die Fotos in Sozialen Netzwerken zu teilen.

epd