Startseite Archiv Tagesthema vom 06. Juli 2016

Die Iuventa ist in See gestochen

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Studierende wollen mit umgebautem Fischtrawler schiffbrüchige Flüchtlinge retten

Um 8 Uhr früh am Donnerstag (30. Juni) hat Kapitän Stefan im Emder Hafen das Kommando "Leinen los" für das Rettungsschiff "Iuventa" gegeben. In etwa zwölf Tagen wird der umgebaute Fischtrawler auf Malta erwartet, um nach einem letzten Sicherheitstraining endlich mit der Suche nach schiffbrüchigen Flüchtlingen vor der libyschen Küste beginnen zu können, sagt Lena Waldhoff aus Berlin. Die 24-jährige gehört zum Vorstand des Vereins "Jugend Rettet", der die "Iuventa" gekauft hat. Das Motiv der jungen Leute: "Wir wollen Menschen vor dem Ertrinken retten, weil sich Europa nicht darum kümmert." Alle Retter an Bord - vom Kapitän bis zum Helfer - haben sich ehrenamtlich für den Einsatz gemeldet.

Am Tag vor der Abreise geht es an Bord zu wie in einem Bienenstock: Alles muss seefest verstaut werden. Trotz bester Planung fehlen kurz vor dem Start immer noch einige Dinge: zwei Ersatzteile für die Maschine, 30.000 Liter Treibstoff, die für den Nachmittag erwartet werden - und Kaffee. "Wir haben nur zwei Kilo Kaffee für eine elfköpfige Crew bekommen, aber dafür unendlich viele Kaffeefilter", sagt Lena mit einem müden Lachen.

Die letzten Tage der Ausrüstung waren anstrengend, und an Schlaf war kaum zu denken. Unter anderem mussten rund 700 Rettungswesten und diverse Rettungsinseln an Bord genommen und verstaut werden. Parallel zur "Iuventa" wird ein Container mit weiteren Rettungsmitteln nach Malta geschickt. "Wir sind jetzt alle aufgeregt, und es soll endlich losgehen. Jeder Tag den wir hier im Hafen verbringen, könnte Menschen das Leben kosten", sagt Lena mit Nachdruck.

"Jugend Rettet" wurde vor einem Jahr von jungen Menschen in Berlin gegründet, nachdem mehr als 800 Flüchtlinge bei einem Unglück im Mittelmeer gestorben waren. "Wir wollen nicht weiter hinnehmen, dass Menschen auf der Flucht ertrinken, weil niemand hilft", unterstreicht Lena. Die Philosophie-Studentin nennt die Aktion "angewandte Ethik". Binnen eines Jahres sammelten die jungen Leute, meist Studierende, über das Internet genug Geld, um das Schiff zu kaufen und es auszurüsten. Getauft ist die "Iuventa" auf den Namen der römischen Göttin der Jugend.

"Seenotrettung von Flüchtlingen ist eine staatliche Aufgabe", unterstreicht Lena. Doch auf den Routen der Flüchtlingsboote fehlten Rettungskräfte. Die Hauptaufgabe der deutschen Kriegsschiffe sei vor allem, sogenannte Schlepper festzunehmen. "Und wenn sie dabei zufällig auf Flüchtlinge treffen, retten sie sie auch", sagt Lena. Aber das sei eben nicht die Hauptaufgabe dieser Schiffe. "Wir wollen zeigen, wie Seenothilfe organisiert werden kann, und die Bundesregierung dazu bewegen, mehr für die schiffbrüchigen Flüchtlinge zu tun."

Derzeit operieren sieben private Rettungscrews im Mittelmeer. Allein die "Sea-Eye" hat eigenen Angaben zufolge seit April mehr als 2.200 Menschen aus Seenot gerettet, die mit oft überfüllten Schlauchbooten unterwegs waren. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind in den ersten fünf Monaten des Jahres mehr als 190.000 Menschen über das Mittelmeer geflohen, davon knapp 156.000 nach Griechenland und 34.000 nach Italien. 1.375 Menschen gelten als vermisst oder tot.

Jörg Nielsen (epd)

Helfer gesucht

Die "Iuventa" wird nur im äußersten Notfall Schiffbrüchige an Bord nehmen. Für große Gruppen ist das 33 Meter lange Schiff zu klein. Maximal 100 Menschen dürfen auf den Trawler. "Wir werden die Situation stabilisieren und andere Rettungskräfte per Funk heranrufen", erläutert die junge Frau.  

Die ersten ehrenamtlichen Crews mit erfahrenen Seeleuten und Medizinern stehen bereit. "Aber wir brauchen noch mehr Geld, Kapitäne und Maschinisten." Pro Monat kostet die Aktion rund 40.000 Euro. "Der erste Einsatzmonat ist gesichert, aber danach sind wir klamm an Geld und nautischem Personal." Auf der Internetseite des Vereins zeigt der Spendenpegel derzeit für den zweiten Monat 51 Prozent an.

Bei aller Vorfreude und Spannung auf den Einsatz bleibe auch ein wenig Wehmut in Emden zurück, sagt Waldhoff: "Wir sind hier von so vielen Menschen unterstützt worden - angefangen bei der Seemannsmission bis hin zu Werftarbeitern und Azubis aus den Betrieben, die einfach mit angepackt haben." Und dann geht Lenas Blick nach vorne - Richtung Nordsee.

Jörg Nielsen (epd)