Startseite Archiv Tagesthema vom 15. Juni 2016

Grenzgängerin zwischen den Kulturen

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Regionalbischöfin Ingrid Spieckermann geht in den Ruhestand

Berührungsängste mit anderen Kulturen oder Religionen hat Ingrid Spieckermann (65) nie gehabt. Die ehemalige Regionalbischöfin des evangelischen Sprengels Hannover sieht sich als Grenzgängerin: "Ich liebe die Begegnung an der Grenze", sagt sie über sich selbst. "Menschen werden dann interessant, wenn man sie dort wahrnimmt, wo sie sind."

Getreu ihrem Motto hat Spieckermann in den mehr als 16 Jahren an der Spitze des Kirchensprengels mit rund 550.000 Mitgliedern stets versucht, die Kirche in einen Dialog mit anderen Milieus zu bringen - in Politik, Kultur und Religion. Am Sonntag wurde sie als Landessuperintendentin von Landesbischof Ralf Meister in den Ruhestand verabschiedet.

Besonders das Gespräch mit dem Judentum und dem Islam liegt ihr am Herzen. Deshalb hat Spieckermann während ihrer Amtszeit immer wieder Moscheen besucht. "Die sind ganz anders, als wir oft glauben." Sie habe viele selbstbewusste junge Frauen dort getroffen. Eine Muslima hat deshalb bei ihrer Verabschiedung auch eines von drei Grußworten gesprochen. So hatte es sich Spieckermann gewünscht.

Die Regionalbischöfin kann sich sogar vorstellen, dass irgendwann einmal ausgediente evangelische Kirchen an muslimische Gemeinden verkauft werden - ein in der Kirche höchst umstrittenes Thema. "Das muss dann aber von der ganzen Kirche mitgetragen werden."

Spieckermann weiß sehr genau um die Ängste und die Trauer, die mit der Aufgabe einer Kirche verbunden sind. Zwölf Kirchen musste sie während ihrer Amtszeit im Großraum Hannover entwidmen. Sie waren wegen der demografischen Entwicklung überzählig. Zwei dieser Kirchen sind inzwischen jüdische Synagogen. Spieckermann hat sich dieses Thema nicht ausgesucht, aber entschlossen angepackt: "Es ist wichtig, eine Gemeinde dabei gut zu begleiten."

Auch zur Flüchtlingsfrage hat die Regionalbischöfin eine klare Meinung: "Wir müssen den anderen als Bereicherung sehen und nicht als Bedrohung." Flüchtlinge seien vor Krieg und Terror geflohen und dürften bei ihrer Aufnahme in Deutschland nicht erneut traumatisiert werden. Gleichwohl müsse die Kirche auch das Gespräch mit denjenigen suchen, denen die Aufnahme vieler Flüchtlinge Angst mache.

Spieckermann stammt aus Nordhorn nahe der niederländischen Grenze. Sie studierte Theologie, Philosophie und Germanistik in Münster und Göttingen, promovierte in Systematischer Theologie und heiratete einen späteren Theologieprofessor, den sie bereits im ersten Semester kennengelernt hatte. Später arbeitete sie als Pastorin im Raum Hildesheim und im Landeskirchenamt in Hannover, bevor sie am 1. Januar 2000 Landessuperintendentin wurde.

Die Kirche brauche Stabilität gegen die Versuchungen des Zeitgeistes und dürfe sich nicht anbiedern, sagt die Theologin. "Guter Dialog weiß immer um sich selbst. Wir dürfen nicht nur alle möglichen Projekte machen, sondern müssen auch etwas als Plus in die Gesellschaft hineingeben."

epd