Startseite Archiv Tagesthema vom 11. Juni 2016

„Ich seh´ Stadion als meine Kirche“

Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de

Kirchenhistoriker sieht Parallelen von Religion und Fußball

Der Kirchenhistoriker und Fußballpräsident Hermann Queckenstedt hat zu Beginn der Fußball-Europameisterschaft an die Priester und Pastoren appelliert, sich von der Begeisterung in den Stadien anstecken zu lassen. Der Fußball gebe den Menschen etwas, das die Kirche heute oft nicht mehr zu bieten habe, sagte der Kurator der 2010 entwickelten Ausstellung "Im Fußballhimmel und auf Erden" dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Fans suchen in den Stadien vor allem die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten und große Gefühle." Die EM in Frankreich beginnt an diesem Freitag.

Die Kirchen sollten sich bewusstmachen, dass viele Abläufe bei einem Fußballspiel christlichen Ritualen ähnelten, erläuterte Queckenstedt. Er ist Direktor des Osnabrücker Diözesanmuseums und Präsident des Drittligaclubs VfL Osnabrück. Zu Bundesliga-Saisonzeiten sei der sonnabendliche Gang ins Stadion für die Fans der Höhepunkt der Woche. "Früher war das für sehr viel mehr Menschen der Sonntagsgottesdienst. Dort trafen sie verlässlich Freunde und Nachbarn, mit denen sie nachher zum Frühschoppen zusammenblieben."  

Der Historiker vergleicht den Einzug der Spieler ins Stadion mit dem der Priester und Messdiener in eine katholische Messe, die Fangesänge mit Kirchenliedern. Die Kommunikation zwischen Stadionsprecher und Publikum unterliege ähnlichen Regeln wie zwischen Liturg und Gottesdienstbesuchern.

Die Kirchen könnten auch vom Fußballkult lernen, betonte Queckenstedt. "Immerhin zeigt die Entwicklung doch auch, dass unsere Bilder und unser Glaube noch viel Kraft haben." Pfarrer sollten viel häufiger Anlässe schaffen für begeisternde Gemeinschaftserlebnisse. Sie sollten authentischer und mitreißender über ihren Glauben sprechen. "Im Stadion können sie erleben, wie Gemeinschaft wirklich geht."

Durchgeschwitzte Trikots und Autogramme hätten bei vielen Fans mittlerweile Reliquien-Charakter. In vielen Wortspielen und -bildern fänden sich Analogien zur Religion, erläuterte der Vereinspräsident. Zu den berühmtesten zählten der "Fußballgott", der "heilige Rasen" oder die "Hand Gottes" des argentinischen Nationalspielers Diego Maradona. Für manch einen Fan sei der Fußball tatsächlich sinnstiftend und eine Art Ersatzreligion. So sei wohl auch der Ausspruch eines BVB-Anhängers in Dortmund zu verstehen: "Ich seh' Stadion als meine Kirche."

Tatsächlich gebe es auch Skurrilitäten und Auswüchse bis hin zur Gotteslästerung. Dazu zählten etwa das Gebet "Schalke unser" und eine VIP-Loge auf St. Pauli im Stile eines Altarraums. In Argentinien feierten Fans in der "Kirche Maradonas" am Geburtstag ihres Idols das Weihnachtsfest. "Aber auch darüber sollten wir nicht jammern, sondern produktiv damit umgehen", riet Queckenstedt.

Dabei ist die Grenze für den Fußballfan und Bistumsmitarbeiter völlig klar: "In letzter Konsequenz, im Angesicht des Todes kann Fußball nie sinnstiftend sein." Das sei auch vielen Fans nach dem Suizid von Nationaltorwart Robert Enke 2010 klargeworden. "Fußball ist für mich Freizeitgestaltung. Der christliche Glaube gibt meinem Leben einen Rahmen, Halt, Sinn und eine Perspektive."

epd

Beten für den EM-Sieg

Beten für den EM-Sieg ist nach Meinung des hannoverschen Landesbischofs Ralf Meister selbstverständlich erlaubt, hat aber auch Grenzen: "Wer für einen Muskelfaserriss des Gegners betet, liegt sicherlich falsch", sagte der evangelische Theologe am Mittwoch dem epd zu der am Freitag beginnenden Fußball-Europameisterschaft in Frankreich. Dagegen ließen sich alle guten Wünsche in Gebete fassen.

Auch wenn Fußballbegeisterte vieler Nationen dabei für das gute Abschneiden ihrer Elf beteten, sei das kein Problem. "Gott kennt einander widersprechende Gebete und ist geübt, damit umzugehen", sagte Meister. Der Landesbischof wünscht sich, dass die EM zum Ausdruck eines friedlichen und fairen Miteinanders in Europa wird.

epd