Ein Zuhause auf Zeit
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Auf einer Tafel hat die syrische Familie mit blauem Filzstift eine Abschiedsbotschaft in brüchigem Deutsch hinterlassen: „vilen Danke für ihr Helfe“. Zwei Räume im evangelischen Gemeindehaus der Friedenskirche in Salzgitter waren ein halbes Jahr ihr provisorisches Zuhause. Vor kurzem sind die Eltern mit ihren vier Kindern in eine Wohnung der Stadt gezogen.
Pfarrer Martin Schulz erinnert sich noch gut an den nasskalten Novembertag, als er das erste Mal von der Familie hörte. Die Syrer waren obdachlos in einer Beratungsstelle für Flüchtlinge gestrandet. Die vier kleinen Kinder waren alle krank und unterkühlt. „Es war eine humanitäre Notsituation“, sagt Schulz. Kurzerhand entschloss er sich, die Familie im Gemeindehaus unterzubringen.
Zusammen mit dem „Freundeskreis Flüchtlingshilfe“ der Gemeinde richtete er binnen weniger Tage im Obergeschoss die Zimmer her. In dem bisherigen Raum für Mutter-Kind-Gruppen entstand ein provisorisches Wohnzimmer. Schränke und Betten wurden aufgebaut und Gardinen angebracht. Auch eine Dusche wurde in das Gemeindehaus eingebaut. Ein eigener Briefkasten an der Haustür sorgte dafür, dass die Syrer keine Post von den Behörden verpassen.
Wie und warum die Familie nach Salzgitter kam, ist bis heute ungeklärt, sagt Schulz. Die Familie kam zur Zeit der Flüchtlingskrise in der Braunschweiger Landesaufnahmebehörde an. Hunderttausende Asylsuchende suchten im vergangenen Jahr Zuflucht in Deutschland. Ein Sprecher der Einrichtung spricht von „chaotischen Zeiten“. Im November waren dort rund 3.500 Flüchtlinge untergebracht, derzeit seien es etwa 500. „Wir können die Flüchtlinge nicht festhalten, wenn sie sich eigenständig auf den Weg machen.“
Auch Pfarrer Schulz erlebte bei einem Besuch der Sammelunterkunft, dass es vor allem an Organisation mangelte: „Bei der Registrierung galt das Recht des Stärkeren, Ordnungskräfte standen einfach nur daneben“, kritisiert er. Bis heute habe die Familie keinen Termin erhalten, um einen Asylantrag zu stellen.
Für die Familie von Fadi und seiner Frau Hannaa war die evangelische Gemeinde in Salzgitter ein Glücksfall. Weil alle zunächst kein einziges Wort Deutsch konnten, gab es zunächst auch ein paar Konflikte und Missverständnisse, sagt Schulz. Schnell lernten die neuen Bewohner aber, sich mit den parallel stattfindenden Feiern und Gruppenkreisen im Gemeindehaus zu arrangieren.
Gespräche liefen zunächst nur mit Smartphones, erinnert sich Schulz. Eine Übersetzungs-App ermöglichte, dass die von Vater Fadi getippten arabischen Schriftzeichen wenige Sekunden später auf deutsch auf dem Bildschirm erschienen: „Wir sind froh über das Leben in Deutschland“, war eine Nachricht, die er dem Ehepaar Schulz immer wieder aufschrieb. In den kalten Wintermonaten flitzten die Kinder mit einem Roller durch die Flure vom Gemeindehaus.
Mit zahlreichen Sprachkursen und Unterstützung der ehrenamtlichen Helfer hat die Familie mittlerweile besser Deutsch gelernt. Ganz ohne Hilfe haben sie ihre Abschiedsbotschaft auf die Tafel geschrieben. Trotz der neuen Wohnung werde der enge Kontakt zu den Menschen aus dem Freundeskreis der Friedenskirche aber bleiben, ist Schulz überzeugt. Rückblickend zögert er keine Sekunde, als er sagt: „Wir würden alles wieder genauso machen.“
Von Charlotte Morgenthal (epd)Bild: EMSZ