Startseite Archiv Tagesthema vom 03. Mai 2016

Deutschland und der Islam

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Gehört der Islam zu Deutschland? Auch knapp sechs Jahre nach der aufsehenerregende Rede des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff wird in Deutschland über diesen Satz gestritten. Es sei die "religionspolitische Gretchenfrage", sagte kürzlich die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Christine Langenfeld. Nein antworten darauf die einen, die Geschichte und Tradition Europas auf vor allem jüdischen und christlichen Einflüssen begründet sehen. Besonders kämpferisch mit dieser Haltung gab sich am Wochenende die AfD auf ihrem Parteitag, als sie im Parteiprogramm für sich beschloss: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“

Mit Ja antworten hingegen andere auf die Frage, die argumentieren, mit den in Deutschland lebenden Muslimen gehöre auch deren Religion zwangsläufig dazu. Diesem Pragmatismus folgte 2006 der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), als er die Deutsche Islamkonferenz ins Leben rief. Erstmals verhandelten Repräsentanten des Staates mit Vertretern der Muslime in Deutschland über die Frage, wie sie gleiche Rechte wie etwa die Kirchen erlangen können. Es geht dort zum Beispiel um Religionsunterricht, Seelsorge in Institutionen oder einen eigenen Wohlfahrtsverband.

Die Islamkonferenz wird in diesem Jahr zehn Jahre alt. Einiges ist erreicht worden, das belegt, wie der Islam inzwischen konkret im Alltag dazugehört. Über neue Modelle wurde in einigen Bundesländern islamischer Religionsunterricht etabliert. An fünf Universitäten gibt es Lehrstühle für islamische Theologie, an denen Pädagogen und Imame ausgebildet werden sollen. Erste Gremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten haben inzwischen auch Plätze an muslimische Verbände gegeben, darunter Radio Bremen, der SWR und das ZDF. Aktuelles Thema der Islamkonferenz ist, wie muslimische Seelsorge analog zu anderen Religionen in Krankenhäusern, der Bundeswehr und in Gefängnissen gewährleistet werden kann.

Mit all diesen Regelungen geht der Staat bei den Muslimen einen Sonderweg. Evangelische und katholische Kirche sowie der Zentralrat der Juden profitieren von den Rechten automatisch, weil sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind. Bei den Islamverbänden gestaltet sich dieser grundlegende Rechtsakt von Beginn an als problematisch: Die Gemeinden führen keine genauen Mitgliederlisten und die Verbände repräsentieren jeweils nur einen Teil der Muslime in Deutschland.

Die Voraussetzungen einer Anerkennung als Körperschaft werden daher von der Politik als nicht erfüllt angesehen. Dennoch gibt es erste Modelle für eine weitestgehende Gleichstellung mit den Kirchen: Hamburg und Bremen haben mit Vertretern der Muslime Staatsverträge über Regelungen für Feiertage, Religionsunterricht, Bestattungen und den Bau von Gebetshäusern abgeschlossen. Auch die rotgrüne Landesregierung in Niedersachsen hält am Ziel eines Rahmenvertrags mit den islamischen Verbänden fest. Er soll nach Angaben von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) von vergangener Woche im Laufe des Jahres unter Dach und Fach gebracht werden.

Als Teil der religiösen Landschaft haben auch die Kirchen den Islam als Teil des Landes akzeptiert. So treffen sich seit vielen Jahren beispielweise regelmäßig Spitzenvertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Koordinationsrats der Muslime zum interreligiösen Dialog. In Berlin plant eine evangelische Gemeinde gemeinsam mit Vertretern aus Judentum und Islam ein gemeinsames Gebetshaus unter dem Namen „House of one“. Durch diesen Kontakt sieht der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, ein Mittel gegen die Wirksamkeit der Thesen der AfD, die den Islam möglichst weit aus der Gesellschaft ausschließen will. Diese Sprüche hätten keinen Bestand mehr, „wenn sich die Menschen persönlich begegnen“, sagte der bayerische Landesbischof am Montag dem NDR.

Corinna Buschow (epd)

Der im Grundsatzprogramm der AfD festgeschriebene Anti-Islam-Kurs stößt auch bei den leitenden Theologen in Niedersachsen und Bremen einhellig auf Widerstand. Der Ratsvorsitzende der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Ralf Meister, forderte, die Rechtmäßigkeit des AfD-Parteiprogramms schnellstmöglich überprüfen zu lassen. Es gehe um die Frage, ob die Passagen zum Islam im Parteiprogramm der Alternative für Deutschland grundgesetzkonform seien, sagte Meister.

Die evangelischen Kirchen stünden zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und damit zur Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, sagte der hannoversche Landesbischof. Dazu gehöre auch die Religionsausübung: „Wir erwarten von allen Parteien, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften, dass sie sich ohne Einschränkung zum Grundgesetz und damit zum liberalen Rechtsstaat bekennen.“

Der leitende Theologe der Bremischen Evangelischen Kirche, Renke Brahms, kritisierte gegenüber epd die Haltung der AfD zum Islam scharf: „Wir werden uns nicht für ein Bild vom christlichen Abendland missbrauchen lassen, das andere Religionen auf diese Weise ausgrenzt.“ Der Begriff 'christliches Abendland' bedeute für ihn Integrationsfähigkeit und Vielfalt, betonte Brahms, der auch Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.

Der Kirchenpräsident der Evangelisch-reformierten Kirche, Martin Heimbucher, warnte vor einer zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft. Für ein gedeihliches Miteinander unterschiedlicher Konfessionen und Religionen sei es schlicht nötig, „dass wir einander kennen und dass wir untereinander eine Kultur des Vertrauens, des gegenseitigen Respekts und des offenen Austausches“, sagte Heimbucher dem epd in Leer.

Auch der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns betonte, dass der Anti-Islam-Kurs der AfD weder mit dem Grundgesetz noch mit dem christlichen Menschenbild vereinbar sei. Es sei gefährlich und nicht hinzunehmen, dass gegen eine Religion Stimmung gemacht werde. „Der christliche Glaube ruft uns zu einem friedlichen und respektvollen Miteinander auf“, sagte er dem epd in Wolfenbüttel. Deutschland brauche stärkere Initiativen zur Integration.

epd

Positives Votum für Islamverträge

Die hannoversche Landeskirche hält an ihrem grundsätzlich positiven Votum für den Abschluss der Islamverträge in Niedersachsen fest. „Unabhängig von den Personen, die an den Verhandlungen beteiligt sind, befürworten wir nach wie vor die Abschlüsse von Verträgen zwischen der Landesregierung und den muslimischen Verbänden“, sagte Pressesprecher Johannes Neukirch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Position der Kirche habe sich durch den Führungswechsel beim Landesverband der Muslime nicht verändert.

Landesbischof Ralf Meister hatte die Bedeutung der Verträge erst vor kurzem bei einer Veranstaltung der Kirchen und dem Landtag in Hannover unterstrichen: „Wir brauchen einen solchen Vertrag, der mit einer breiten Mehrheit die islamischen Gemeinschaften anerkennt und sich mit ihnen über Rechte und Pflichten in unserem Staat verständigt.“

Die niedersächsische Landesregierung hatte kürzlich überraschend angekündigt, die geplanten Verträge mit den Landesverbänden auf Eis zu legen. Es sei nicht zu erwarten, dass die Verträge kurzfristig unterzeichnet werden könnten, sagte eine Sprecherin. Als Grund nannte sie den Führungswechsel im Verband „Schura“, der rund 90 Moschee-Gemeinden vertritt.

Bei dessen Jahreshauptversammlung war der langjährige Vorsitzende Avni Altiner überraschend mit seiner Kandidatur gescheitert. Stattdessen entschied der bisherige Geschäftsführer Recep Bilgen die Abstimmung für sich. Der Diplom-Ingenieur vertritt die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs, die noch bis 2014 vom Verfassungsschutz beobachtet wurde und der türkischen Regierungspartei AKP nahesteht.

Die islamische Hochschullehrerin Annett Abdel-Rahman sagte dem epd, sie wolle nach der Wahl von Bilgen zum neuen Vorstandsvorsitzenden die weitere Entwicklung abwarten. Es werde jetzt darauf ankommen, dass sich die Vielfalt des Islam in Niedersachsen auch in der Arbeit des neuen Vorstands widerspiegele. Abdel-Rahman, die bisher mit Altiner zusammenarbeitete, war als Referatsleiterin für Bildung erneut in den Vorstand gewählt worden. 

epd

„Make tea not war“ - Teegegnung