Startseite Archiv Tagesthema vom 01. Mai 2016

Emanzipation der Mütter

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Moderne Mütter konnten es noch nie richtig machen: Gehen sie mit hoher Stundenzahl arbeiten, heißt es, sie vernachlässigten die Kinder, vor allem dann, wenn es in der Schule nicht rund läuft. Bleiben sie zu Hause, gilt das als Verrat an der Emanzipation. Alina Bronsky und Denise Wilk haben in diesem Frühjahr die Debatte wieder neu belebt: Sie haben über die widersprüchlichen Erwartungen ein Buch mit dem provokanten Titel „Die Abschaffung der Mutter“ geschrieben. Darin kritisieren sie, dass Mütter heute ständig bevormundet und angefeindet würden.

Bronsky, 37-jährige Bestsellerautorin („Scherbenpark“, „Baba Dunjas letzte Liebe“) und vierfache Mutter, betont in Interviews immer wieder, dass aus ihrer Sicht Mütter für ihre Kinder und deren Wohlbefinden unersetzlich seien. Mit Sätzen wie: „Die Mutter ist nicht nur eine von vielen Bezugspersonen, sondern in der Regel die wichtigste“ und Zweifeln an früher Fremdbetreuung handelte sie sich den Vorwurf ein, ein reaktionäres Familienbild zu vertreten.

Sie selbst verzichte auf Auftritte und Lesungen, um nicht so oft von ihren Kinder getrennt zu sein, sagt Bronsky, die sich selbst gern als „schreibende Hausfrau“ bezeichnet. Familie ohne Hingabe funktioniere nicht.

Die Soziologin Birgit Riegraf von der Universität Paderborn analysiert, dass die Mutterrolle derzeit wieder ganz neu zur Diskussion gestellt werde. Frauen befänden sich in einer schwierigen Falle: Einerseits stünden sie unter Druck, berufstätig zu sein, da dies mit Wertschätzung und finanzieller Absicherung verbunden sei. „Und gleichzeitig findet eine seltsame Traditionalisierung des Frauenbildes statt: So soll sie etwa lange stillen und auch sonst eine supergute Mutter sein.“

Frauen befänden sich in einem deutlichen Spannungsfeld, unterstreicht Riegraf: „Sie müssen sich an dem modernen Bild messen lassen, möglichst beides miteinander zu vereinen.“ Doch egal, ob sich eine Frau dafür entscheide, länger bei den Kindern zu Hause zu sein oder früh wieder arbeiten zu gehen: „In beiden Fällen bekommt man gesellschaftliche Vorwürfe. Man kann es eigentlich nicht richtig machen.“

Immer die Mütter für alles verantwortlich zu machen, sei eine typisch deutsche Angewohnheit, sagt auch die Soziologin Sabine Brombach von der Wolfenbütteler Ostfalia-Hochschule für Angewandte Wissenschaften. „Den Begriff der Rabenmutter gibt es nur in Deutschland. Der existiert in anderen Sprachen gar nicht.“ Frauen unterlägen in Deutschland einem „Bevormundungssystem“, das es als selbstverständlich voraussetze, dass sie mit ihren Kindern etwa sämtliche Vorsorge- und Impftermine beim Kinderarzt wahrnähmen und möglichst nur gute Bioprodukte auf den Tisch brächten.

Soziologin Riegraf zufolge lässt sich das Dilemma moderner Mütter nur schwer auflösen. Eine „supergute“ Mutter zu sein, kann kaum bedeuten, den ganzen Tag zu Hause bei den Kindern zu sitzen. „Denn das macht viele Frauen unzufrieden, und diese Anspannung überträgt sich auf die Kinder.“

Aber selbst, wenn sich Mütter durch eine intensive Kinderbetreuung ausgefüllt und zufrieden fühlten, sei das nicht wirklich eine Alternative, urteilt Riegraf: „Einer hoch qualifizierten Frau kann man heute nicht mehr raten, drei Jahre für die Kinder auszusetzen. Denn in dieser Phase starten Männer durch und qualifizieren sich weiter.“ Außerdem rückten unaufhörlich neue Hochschulabsolventen nach. Auf die Berufstätigkeit auch nur wenige Jahre zu verzichten, gehe bis ins hohe Alter mit einem hohen materiellen Risiko für die Frau einher, vor allem im Fall einer Scheidung.

Soziologin Brombach ergänzt, dass sich natürlich auch nicht jedem die Frage stelle, ob man für die Kinder beruflich aussetzen möchte: „Das ist klar abhängig von den ökonomischen Verhältnissen: Zu Hause bleiben geht nur, wenn es finanziell auch ohne das Einkommen der Frau reicht.“ Nüchtern betrachtet habe man trotz aller Emanzipationsbestrebungen die Gleichberechtigung noch nicht erreicht: „Nicht, wenn Frauen im Schnitt immer noch 23 Prozent weniger verdienen als Männer.“ 

Barbara Driessen (epd)

Frauenleistung aufwerten

Die Debatte um die Mutterrolle scheint nie zu enden: Mütter sollen berufstätig sein, sich aber auch intensiv um ihre Kinder kümmern. Expertinnen fordern ein Umdenken: Tätigkeiten wie Erziehung und Pflege müssten stärker anerkannt werden.

Soziologin Brombach zufolge wird eines deutlich: Kindererziehung und auch das Pflegen alter oder kranker Menschen erfährt in Deutschland wenig gesellschaftliche Anerkennung. „Das muss sich ändern: Wir müssen solche 'Care-Tätigkeiten', die ja vor allem von Frauen geleistet werden, gesellschaftlich aufwerten.“

Die Wolfenbütteler Wissenschaftlerin plädiert zudem für ein Umdenken: „Wir dürfen Kindeserziehung nicht als alleinige Aufgabe der Frau verstehen, sondern als eine gesamtgesellschaftliche, die auch im sozialen Umfeld, in der Nachbarschaft, in Sportvereinen und in der Schule stattfindet.“ Aber das sei etwas, was man nicht staatlich erzwingen könne: „Dazu muss sich die Gesellschaft selbst von innen heraus entscheiden.“ 

Barbara Driessen (epd)

Am 8. Mai ist Muttertag