Startseite Archiv Tagesthema vom 21. April 2016

Gospelchor im Wohnzimmer

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„Tür auf, alle rein, Butze voll.“ So einfach war das am Wochenende in Wahrenholz. Und zugleich so neu. Mit einem vermutlich bundesweit einmaligen Experiment haben in dem kleinen Ort bei Gifhorn Kirchenchöre und MusikerInnen Werbung in eigener Sache betrieben: Statt darauf zu warten, dass die Leute zu ihnen in die Kirche kommen, gingen sie einfach zu ihnen. Suchten sich im Wohnzimmer einen Platz und legten los. Mit Posaunen, Stimmen und sogar einer tragbaren Orgel.
 
Beim „Heimspiel“, so der passende Titel der Aktion, konnte niemand vorher wissen, wie es ausgehen würde. Aber die evangelische St. Nicolai- und Catharinengemeinde hatte professionelle Hilfe in Silke Lindenschmidt vom Projekt „VISION KIRCHENMUSIK“ der Ev.-luth. Landeskirche Hannover. Ein Jahr lang überlegten sie gemeinsam, wie die Kirchenmusik frischen Wind bekommen könnte. Schließlich machte das Heimspiel das Rennen, weil hier die größte Nähe zum Publikum entstehen würde. Ohne Frage: Das hat geklappt.
 
Ulrike und Andreas Manthey sind eigentlich gerade dabei, zu renovieren, haben ihr Wohnzimmer aber trotzdem zur Verfügung gestellt. Fünf Minuten vor Konzertbeginn – der Posaunenchor Betzhorn wartet auf seinen Einsatz – sind nur wenige Plätze besetzt. Aber plötzlich füllt sich der Raum, das Gastgeberpaar muss immer mehr Stühle heranschaffen. Zum Glück scheint es im Haus reichlich davon zu geben. Auch für eine Frau, die etwas zu spät dran ist und ans Fenster klopft, wird noch eine Sitzgelegenheit organisiert.
 
Jetzt ist es richtig kuschelig. 26 Gäste, dazu elf BläserInnen auf 22 Quadratmetern. Unter der Leitung von Heinrich Lindenschmidt erklingt ein kurzer Querschnitt aus dem Repertoire. Doch das hier ist kein normales Konzert. Schon bald holt Heinrich Lindenschmidt aus einem Karton ein Stück Gartenschlauch mit einem Plastiktrichter darauf, am anderen Ende des Schlauches befindet sich ein echtes Mundstück. Die Gäste staunen:

Darauf können richtige Melodien gespielt werden. Dann holt Lindenschmidt noch mehr dieser Schlauchinstrumente hervor, selber probieren ist
angesagt: „Es ist überhaupt nicht schwer!“ Stimmt, bald kommen die ersten Töne. Der Musiker ist begeistert: „Ihr könnt von mir aus die Instrumente mit nach Hause nehmen und üben.“ Und dann am besten im Posaunenchor einsteigen.

posaunenchor

Heinrich Lindenschmidt und der Posaunenchor Betzhorn: „Bedanken möchte ich mich bei Ulrike und Andreas, dass ihr extra die Wände für uns tapeziert habt.“ Bild: Ralf Neite

Denn der hat wie die anderen Ensembles im Ort – Kirchenchor, Gospelchor, Gemischter Chor – große Nachwuchssorgen. Auch an OrgelschülerInnen mangelt es. Ob sich das nach dem Heimspiel ändern wird, muss sich noch heraus stellen. Der Anfang ist gemacht. Neben manchen Bekannten finden sich auch neue Gesichter in den Wohnzimmern ein. Beim Auftritt des Kirchenchors Wahrenholz am Sonntagnachmittag sind alle froh, dass ein Doppelwohnzimmer zur Verfügung steht: 16 SängerInnen, dazu 46 BesucherInnen: Das ist der Spitzenwert dieses Wochenendes.
 
Etwas intimer ist die Atmosphäre bei Irmtraud Klingbeil. Die 58-Jährige hat die Organistin Isabelle Grupe zu sich eingeladen. Zwischen Sofa und Sesseln, Kamin, Fernseher und einem an die Seite geschobenen Esstisch steht eine so genannte Truhenorgel aus dem Hildesheimer Michaeliskloster. Nicht so ein elektronisches Kunststoffding, sondern eine richtige Orgel mit 200 Pfeifen. Tragbar; allerdings braucht man vier kräftige Menschen dazu.
 
Standesgemäß beginnt Isabelle Grupe mit Bach. Doch auch dieser Wohnzimmerauftritt ist ein besonderer, weil das Publikum die Orgel quasi von innen kennen lernt: Wie wird der Ton erzeugt, was ist ein Register, müssen die Pfeifen nicht aus Metall sein, was machen Hasenleim und Pferdesehnen in der Orgel? Gemeinsam mit Josephine Werth von VISION KIRCHENMUSIK erklärt Isabelle Grupe, warum die Orgel als Königin der Instrumente gilt. Und dann werden die Gäste sogar noch zur lebenden Orgel, indem sie einzelne Orgelpfeifen mit dem Mund blasen. So hat man den Kirchenklassiker „Ich singe Dir mit Herz und Mund“ noch nie gehört.
 
In Hüüs Hoff, dessen obere Etage als Festivalcafé dient, kommen hinterher noch einmal rund 100 Menschen zusammen. Auch hier gibt es Musik zum Mitmachen: Zunächst Stimmübungen mit Kirchenchor-Leiter Ralf Völke, dann ein sommerlicher Kanon – so kräftig und fröhlich gesungen, dass er den normalen Café-Gästen in der unteren Etage ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Simone Kastner, eine der GastgeberInnen, weiß jetzt schon, dass sie bei einer Wiederholung ihr Haus auf jeden Fall erneut öffnen wird: „Tür auf, alle rein, Butze voll – fand ich super!“

Ralf Neite, Kultur & Kommunikation
lebende orgel

Isabelle Grupe und Josephine Werth stellen die lebende Orgel vor. Bild: Ralf Neite

Zehn Gastgeber in Wahrenholz, Betzhorn und Westerholz – die übrigens nicht Mitglied in einem der Ensembles sind – stellen ihre Wohnzimmer als Konzerträume zur Verfügung. Wer früh kommt, kann mit Glück einen Sofaplatz ergattern. Der Rest der Gäste muss schauen, was sich sonst noch als Sitzgelegenheit anbietet. Oder halt mit dem Teppich Vorlieb nehmen. „Es soll eng und gemütlich sein“, so Silke Lindenschmidt.
 
Die Konzerte werden 30 bis 45 Minuten dauern, der Eintritt ist überall frei. Das Publikum darf sich auf Gospels, Kanons, Choräle, traditionelle und moderne Stücke freuen. Und es kann auch selbst aktiv werden: Wie wärmt sich ein Chor auf? Wie entsteht ein mitreißender Rhythmus? Und wie funktioniert überhaupt eine Truhenorgel? Ausprobieren, Fragen stellen, in Gespräch kommen: Das ist hier ausdrücklich gewollt.

schlauchtrompete

Anton Schmidts erste musikalischen Versuche mit der Schlauchtrompete und die gute Nachricht: „Es ist überhaupt nicht schwer.“ Bild: Ralf Neite

Wie funktioniert eine Orgel?

Die Orgel gilt als Mutter aller Tasteninstrumente, ist aber auch ein Blasinstrument. Wie das funktioniert, erklärt der Landeskirchenmusikdirektor der Evangelisch-reformierten Kirche, Winfried Dahlke.

Brücken bauen durch Musik

Eine zentrale Herausforderung und Chance der Gegenwart besteht in der Begegnung unterschiedlicher Kulturen und Religionen in unserem Land. Als besonders prekär erweist sich dabei die Frage, wie wir als Kirche auf Menschen zugehen können, die auf der Flucht sind. Unsere Tagung reflektiert erste Erfahrungen, die Chorleiter und Chorleiterinnen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen durch Singen und Musizieren gemacht haben. Wie können so Zeichen des Friedens und der Verständigung gesetzt und damit Brücken über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg gebaut werden?

Seminar im Michaeliskloster Hildesheim

Mittwoch, 11.05.2016, 14:00 Uhr bis Freitag, 13.05.2016, 13:00 Uhr