Weniger ist mehr
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Den Keller entrümpeln, ungetragene Pullover aussortieren und endlich das Bücherregal aufräumen - den Frühling nutzen viele Menschen, um sich von alten, kaputten oder überflüssigen Gegenständen zu trennen. Auch die 37-jährige Jasmin Mittag aus Hannover will ausmisten. Sie hat sich ein festes Ziel gesetzt: „Ende des Jahres will ich nur noch das besitzen, was ich wirklich benötige.“ Im Internet hat sie mit einem Freund zusammen die Kampagne „Minimalismus jetzt!“ gestartet. In einem Forum können die Teilnehmer auflisten, was sie ausgemustert haben und sich so gegenseitig motivieren und inspirieren.
Zurzeit beteiligen sich gut 20 Menschen an ihrer Aufräum-Aktion, die seit Dezember vergangenen Jahres läuft. Die meisten fingen damit an, Gegenstände auszusortieren. Viele gingen jedoch schnell dazu über, auch nicht-materielle Dinge in ihrem Leben wie Angewohnheiten, finanzielle Ausgaben und Beziehungen zu anderen Menschen infrage zu stellen. So finden sich auf den Listen im Internet auch Einträge wie „Terminhetze“, „Handy-Vertrag“ und „Sommerliebe 1 und 2“.
Mittag hat im vergangenen Jahr außerdem einen Minimalismus-Stammtisch in Hannover ins Leben gerufen. Alle sechs Wochen treffen sich dort bis zu 30 Menschen, um über ihren Lebensstil zu diskutieren und sich gegenseitig Tipps zu geben. „Es ist schön Gleichgesinnte zu treffen“, sagt Mittag. Solche Stammtische gibt es auch in zehn anderen deutschen Städten, darunter Köln, Stuttgart und Hamburg. Initiiert wurden sie 2014 vom Minimalismus-Blogger Michael Klumb aus Bergisch-Gladbach.
Der Philosoph Jürgen Manemann meint: Je weniger ein Mensch besitzt, desto unabhängiger ist er von jeglichen Konsumzwängen. In der Gesellschaft spiele der Konsum eine so große Rolle, dass sich viele hinter ihrem Eigentum versteckten und sich darüber definierten, erläutert der Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. Wer wenig besitze, müsse sich zudem mehr mit sich selbst auseinandersetzen. „Die Reduzierung auf das Nötigste hilft einem herauszufinden, was ein gutes Leben bedeuten kann. So kann durch äußere Leere innere Fülle entstehen.“
Auch die freiberufliche Projektmanagerin Jasmin Mittag findet: „Aussortieren hat was mit Selbstfindung zu tun.“ Sie rät, sich bei jedem Gegenstand zu fragen, wie oft er im Alltag zum Einsatz komme und warum man ihn überhaupt besitze. Auch ein Kompromiss sei möglich: „Wer sich nicht sicher ist, kann sich entweder erst mal nur von der Hälfte trennen oder die Sachen in einer Box in den Keller stellen.“
Wie viele andere Minimalisten möchte Mittag kein Geld und keine Zeit mehr in Dinge investieren, die sie nicht regelmäßig braucht oder die meistens unbenutzt rumstehen. „Alles, was ich besitze, besitzt ein Stück weit auch mich“, sagt sie. Kleidungsstücke, Deko-Artikel, Unterlagen und alte Bücher aus dem Studium hat die Absolventin der Literatur- und Geschichtswissenschaft schon verschenkt, gespendet, getauscht oder entsorgt.