Startseite Archiv Tagesthema vom 10. März 2016

Erinnerung an Fukushima

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In zahlreichen Städten erinnern Umweltschützer in diesen Tagen mit Mahnwachen und Kundgebungen an die Atom-Katastrophen in Fukushima und Tschernobyl. Gleichzeitig werde mit den Aktionen gegen Atomtransporte und für einen rascheren Atomausstieg in Deutschland demonstriert, teilte die Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“ mit. In Niedersachsen und Bremen gibt es allein am heutigen Freitag (11. März), dem fünften Jahrestag der Fukushima-Katastrophe, in rund 20 Orten Aktionen.

Bei dem schweren Unfall im japanischen Kraftwerk Fukushima schmolzen am 11. März 2011 mehrere Reaktorkerne. Im ukrainischen AKW Tschernobyl war am 26. April 1986 ein Reaktorblock explodiert Bei den beiden folgenreichsten Unfällen in der Geschichte der zivilen Kernkraftnutzung wurden große Mengen radioaktiver Strahlung freigesetzt. Die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen lassen sich noch nicht absehen.

In Müllsäcke gehüllte Demonstranten wollen mit einer Aktion in Göttingen darauf aufmerksam machen, dass rund um Fukushima Zehntausende Säcke mit radioaktiv belasteter Erde unter freiem Himmel gelagert werden. Zuvor spricht Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) bei einer Kundgebung.

In Lingen veranstaltet der „Elternverein Restrisiko Emsland“ einen „Schweigekreis“ vor dem Rathaus. Mahnwachen sind unter anderem in Hildesheim, Stadthagen, Oyten, Hermannsburg und Dannenberg angekündigt. Auch in Hannover kommen Politiker und Bürger zusammen. Sie fordern, konsequent an den Zielen des Atomausstiegs und des Umbaus der Energieversorgung festzuhalten, teilte das niedersächsische Umweltministerium in Hannover mit. An der Veranstaltung nehmen unter anderem der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne), der Bürgermeister der Stadt Hannover Thomas Hermann (SPD) und die Marktkirchenpastorin Hanna Kreisel-Liebermann teil. Schülerinnen und Schüler der Wilhelm-Raabe-Schule Hannover werden Gedichte vortragen.

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Umweltschützer drängen anlässlich des fünften Jahrestages der Atomkatastrophe von Fukushima auf einen schnelleren Atomausstieg in Deutschland.

Mit der Stilllegung von inzwischen neun Atomreaktoren sei zwar ein erster Schritt getan, sagte die Atomexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Niedersachsen, Renate Backhaus. Der Weiterbetrieb von acht Reaktoren, darunter die niedersächsischen AKW Grohnde und Emsland, berge jedoch nach wie vor enorme Risiken. Die meisten Kraftwerke sollen bis 2021 oder 2022 weiterlaufen.

Eine kürzlich veröffentlichte BUND-Studie weise nach, dass von den Atomkraftwerken und Atommüllzwischenlagern erhebliche Gefahren ausgingen, sagte Backhaus. Die mit der Untersuchung beauftragte Physikerin Oda Becker habe mangelhafte Schutzstandards, Hochwasser-, Erdbeben- und Terrorgefahren sowie altersbedingte Ausfälle der Sicherheitssysteme festgestellt. Diese Risiken seien der Bevölkerung nicht länger zuzumuten, genauso wie die Risiken altersschwacher Atommeiler in den Nachbarländern, sagte Backhaus.

Bei dem schweren Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima waren am 11. März 2011 in mehreren Reaktoren die Kerne geschmolzen, gewaltige Mengen radioaktiver Stoffe wurden freigesetzt oder ins Meer geleitet. Die langfristigen gesundheitlichen Folgen der Katastrophe lassen sich noch nicht abschätzen.

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Japan nach dem Tsunami und dem Reaktorunglück 2011. Bild: fotolia.com/ kariochi

Kein Depot für den Müll

Die Vorsitzende der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Dortmund, Yoko Schlütermann, hat den Umgang mit Vertriebenen fünf Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima scharf kritisiert. Die Regierung und der Atomkraftbetreiber „Tepco“ würden die Menschen aus der Region zu frühzeitig dazu drängen, in ihre Heimat zurückzukehren, sagte Schlütermann am Rande eines Vortrags in der Evangelischen Akademie Abt Jerusalem in Braunschweig. Dann würden Entschädigungszahlungen an die Betroffenen eingestellt. „Neben der physischen und psychischen Belastung haben sie nun auch finanzielle Not.“

Bei der Atomkatastrophe mussten rund 150.000 Einwohner das Gebiet vorübergehend oder dauerhaft verlassen. Die langfristigen Auswirkungen sind noch nicht abzuschätzen.

Zwar seien viele Wohngebiete sehr schnell dekontaminiert worden. Allerdings lägen in vielen Regionen Müllsäcke mit der abgetragenen Erdschicht einfach auf Feldern oder an Waldrändern. „Es gibt kein Depot dafür, die Reste wurden einfach da gelassen“, sagte Schlütermann, die zuletzt im vergangenen November nach Fukushima reiste. 

Die Katastrophe drohe in Vergessenheit zu geraten, mahnte die gebürtige Japanerin. Dabei sei die Zahl der damit verknüpften Krankheitsfälle im Vergleich zum Atomreaktor-Unglück von Tschernobyl schon jetzt deutlich höher. So seien 167 Kinder an Schilddrüsenkrebs erkrankt. Auf knapp 2.000 Kinder komme ein Krankheitsfall. Normalerweise liege der Anteil bei bis zu drei von einer Million Kindern. Die Regierung streite einen Zusammenhang mit dem Unglück hingegen ab.

Besonders die Kinder litten nach wie vor unter der Situation, kritisierte Schlütermann. „Früher konnten sie frei draußen spielen oder zur Schule gehen.“ Heute würden sie mit dem Auto selbst zur Schule gefahren, damit sie nicht unterwegs in verstrahlte Gebiete liefen. Mittlerweile sei der Anteil von übergewichtigen Kindern in der Region landesweit am höchsten.

Die Deutsch-Japanische-Gesellschaft mit Sitz in Dortmund hatte nur wenige Tage nach der Katastrophe die Spendenaktion „Hilfe für Japan“ ins Leben gerufen. Mittlerweile konnten dadurch rund 1.000 Kinder in Erholungscamps ins rund 2.000 Kilometer entfernte Okinawa geschickt werden. „Sie sollen sich von dem Stress erholen und ihr Immunsystem stärken.“ Nach wie vor würden für das Projekt Spenden benötigt.

epd-Gespräch: Charlotte Morgenthal
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Bild: epd-grafik