Mit Behinderung selbstbestimmt leben
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Yvonne ist frisch geschminkt und frisiert. Die fliederfarbene Fleece-Jacke unterstreicht den leicht gebräunten Teint ihrer Haut. Die beiden Pflegekräfte heben die 24-Jährige mit Hilfe des elektrischen Deckenlifters in ihren Spezialrollstuhl. Ute Kellner und Alexandra Mestemacher setzen sie behutsam zurecht, flachsen mit Yvonne über das ungewohnte Make-up. Dann fahren sie die junge Frau hinter den Schreibtisch. Das sei schließlich ihr Platz als Chefin eines Pflegedienstes, findet die Mutter und lacht: „Yvonne ist jetzt Jung-Unternehmerin.“
Den Eltern ist die kleine Schauspieleinlage wichtig. Birgit und Dieter Szpadzinski sind froh, dass ihre Tochter den Spaß mitmachen kann. Denn Yvonne ist nur auf dem Papier Chefin. Die Eltern sind ihre gesetzlichen Betreuer. Mit Hilfe des Persönlichen Budgets haben sie das „Pflegeteam Princess“ vor einem Jahr gegründet. „Im Team arbeiten derzeit 14 Pflegekräfte, von der Vollzeitkraft bis zur Minijobberin“, sagt der Vater: „Sie alle sind nur für Yvonne da.“
Die junge Frau aus dem niedersächsischen Borgloh ist schwer mehrfachbehindert und rund um die Uhr auf intensive Pflege angewiesen. Die angeborene Stoffwechselerkrankung, an der sie leidet, hat ihr nach und nach alle Fähigkeiten genommen. Irgendwann wird sie daran sterben. Für ihre Familie war immer klar: Yvonne soll zu Hause bleiben - bis zum Ende.
Das Team und die Eltern von Yvonne. Bild: epd-Bild/ Uwe Lewandowski
Lange Jahre wurde Yvonne von privaten ambulanten Pflegediensten betreut. Doch aufgrund der zunehmenden Personalknappheit in der Branche musste vor allem die Mutter immer öfter einspringen, wenn Pflegekräfte ausfielen. Mit der Qualität war die Familie auch nicht immer zufrieden. Von der Krankenkasse sei immer mal der Hinweis gekommen: „Geben Sie ihr Kind doch ins Heim“, erzählt Birgit Szpadzinski. Das Persönliche Budget bot ihnen einen Ausweg - allerdings einen mit vielen Hürden.
Das Persönliche Budget wurde 2008 als Rechtsanspruch eingeführt. Es soll Behinderten und chronisch Kranken mehr Teilhabe und Selbstbestimmung ermöglichen. Sie bekommen statt Sach- und Dienstleistungen monatlich einen Geldbetrag ausgezahlt. Mit diesem Budget können sie sich die benötigte Hilfe selbst einkaufen. Rund 30.000 Budgetnehmer gibt es derzeit in Deutschland, schätzt das Bundessozialministerium. Es könnten viel mehr sein, meinen Betroffenenverbände.
Denn was sich so einfach anhört, wird schon durch die Vielzahl der Leistungserbringer erschwert: Krankenkassen, Sozial- und Jugendämter, Pflegekassen, Unfall- und Rentenversicherungen, die Bundesagentur für Arbeit. Fast alle Betroffenen haben Anspruch auf Hilfen von mehreren Kostenträgern.
Eigentlich haben Kassen und Sozialhilfeträger die Pflicht, die Antragsteller entsprechend zu beraten. „Das tun sie aber nicht“, sagt Gerhard Bartz vom „Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA)“. Mehr noch: „Sie wimmeln immer erst mal alles ab oder reden den Bedarf klein.“ Für Bartz ist klar: „Der berechtigte Personenkreis soll abgeschreckt werden, die geschaffenen Leistungen und Gesetze in Anspruch zu nehmen.“
Auch Uwe Frevert von der „Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland“ sagt: „Ambulante Hilfen sind von den Kostenträgern nicht gewollt. Es ist immer noch alles auf stationäre Einrichtungen ausgerichtet.“ Oft müssten die Betroffenen, die ihnen zustehenden Leistungen per Widerspruch oder sogar vor Gericht einklagen. Viele schreckt das ab.
Nicht so Dieter Szpadzinski: „Wir sind eigentlich immer in einem Widerspruchsverfahren oder Prozess.“ Zuletzt hat die Familie eine Fachkraft für die allgemeine Verwaltung erstritten, die auch die Lohnabrechnungen macht.
Pflegekraft Jannike Huesken (Hüsken) spielt Yvonne Stimmen von Walen und Delfinen aus eienm Buch vor. Bild: epd-Bild/ Uwe Lewandowski
„Pflegeteam Princess“. Bild: epd-Bild/ Uwe Lewandowski