Baba Noel
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Raed (8) streift sich die Lebkuchenkrümel an der Hose ab. Er nimmt das Smartphone seines Vaters und betrachtet die Fotos von der Heimat in Syrien: „Mein Haus“, sagt er auf Deutsch und zeigt voller Stolz auf ein mehrstöckiges Gebäude in einer belebten Straße. Dass es nicht mehr steht, wie vieles in Zabadani, weiß er. Dann hüpft er zum Tisch im Wohnzimmer seines Großonkels in Osnabrück, stopft sich einen Schoko-Nikolaus in den Mund und nuschelt mit vollem Mund: „Baba Noel! Weihnachtsmann auf Arabisch!“
Die rund eine Million Flüchtlinge, die es 2015 nach Deutschland geschafft haben, erleben die deutsche Vorweihnachtszeit zwischen Lichterketten, Plätzchenduft und Friedensbotschaft zum ersten Mal. Viele sind wie Raed und seine Familie noch auf der Suche nach einem neuen Leben und mit den Gedanken oft in der Heimat.
Die neu erprobte Offenheit zahlreicher Deutscher hilft den Neuankömmlingen. „Ich habe Tag und Nacht Sehnsucht nach Syrien“, sagt Raeds Mutter Nour Hussein (27) und ergänzt mit schüchternem Lächeln: „Dass wir zum Weihnachtskaffee in einer deutschen Familie eingeladen sind, macht mich dankbar und glücklich.“
Bild: epd-Bild
Es ist die Familie von Melanie Rakien, die die Husseins eingeladen hat. Seit Oktober ist die 20-jährige Jurastudentin Patin von Raeds kleiner Schwester Lujain. Einmal in der Woche holt sie die Fünfjährige zum Spielen oder Spazierengehen ab. Mittlerweile hat sie sich auch mit Mutter Nour und Vater Imad Hussein (35) angefreundet. Melanies Eltern fanden ihr Engagement so gut, dass sie die gesamte Patenfamilie zu sich nach Hause eingeladen haben.
„Wir hatten bisher kaum Kontakt zu Muslimen und auch nicht zu Flüchtlingen. Also sind wir ein bisschen aufgeregt“, sagt Melanies Vater. „Aber es ist ein geniales Gefühl, helfen zu können.“ Am meisten Kopfzerbrechen bereitet ihm die Frage, wie sie sich denn miteinander verständigen sollen. Doch seine Tochter zerstreut die Bedenken mit einem Lachen: „Das klappt schon. Ein bisschen Englisch, ein bisschen Deutsch, ein bisschen Arabisch und ganz viel mit Händen und Füßen.“
Viele Deutsche lassen die Neuankömmlinge teilhaben am christlichen Fest der Nächstenliebe. Mitarbeiter und Freiwillige in Erstaufnahmelagern und Sammelunterkünften organisieren Adventsfeiern, schmücken Speisesäle mit Papiersternen, Kerzen und Tannenzweigen. Schulklassen und Firmenbelegschaften verteilen Weihnachtspäckchen, Rentner basteln mit Flüchtlingskindern Weihnachtsdeko.
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Chöre und Orchester laden die Zugewanderten, wie etwa in der Flüchtlingskirche in Berlin, zu Konzerten ein. In einer Notunterkunft im niedersächsischen Sarstedt bereiten Ehrenamtliche den Bewohnern sogar noch an Heiligabend ein Grillfest mit Gospelmusik.
Dass die meisten Zuwanderer Muslime sind, haben die Helfer dabei durchaus im Blick. Es ist aber kein Hinderungsgrund. „Missionieren wollen wir hier natürlich nicht“, sagt Sabine Weber, Geschäftsführerin des Diakoniewerks, das in Osnabrück eine Erstaufnahmeeinrichtung betreibt.
Auch der Bischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Ralf Meister, hat an Weihnachten Flüchtlinge zu Gast. Er hatte die Christen ausdrücklich aufgefordert, Neuankömmlinge in ihre Wohnzimmer einzuladen. „Es wäre doch eine schöne Geste des Friedens, und beide Seiten könnten ihre Angst vor Begegnungen überwinden.“ So werden auch die beiden jungen Afghanen, die seit Sommer in einer Einliegerwohnung der Bischofskanzlei wohnen, an einem der Weihnachtstage mit Meisters Familie zusammen feiern: „Das wird ein besonderes Fest mit gemeinsamem Gottesdienst, aufregend für uns und unsere Gäste.“
Der islamische Religionssoziologe Rauf Ceylan sieht es positiv, wenn Menschen unterschiedlicher Religionen sich gegenseitig zu ihren Festen einladen: „Eine Feier ist doch eine wunderbare Gelegenheit, sich näherzukommen und etwas vom Anderen zu erfahren.“
Für die Flüchtlinge sei es wichtig, dass sie sich nach den oft schrecklichen Erlebnissen von Mord, Krieg und Flucht in diesem für sie fremden Land angenommen fühlten, sagt der Osnabrücker Islamexperte. „Wann können die deutschen Christen ihre Zuneigung besser zeigen als an Weihnachten, dem Fest der Nächstenliebe?“
Weihnachten sei im Übrigen auch den Muslimen ein Begriff, betont Ceylan: „Jesus ist schließlich im Islam ein wichtiger Prophet. Man weiß, wie er gelebt hat und natürlich auch, dass Weihnachten das Fest seiner Geburt ist.“
In Syrien lebten einst Jahrhunderte lang Muslime und Christen friedlich miteinander, sagt Abdul-Jalil Zeitun, Raeds Großonkel. Bei ihm, der schon seit mehr als 40 Jahren als Imam in Osnabrück lebt, sind Raed und Lujain mit ihren Eltern nach ihrer Ankunft in Deutschland vor vier Monaten untergekommen. „Alle Nachbarn und Freunde besuchen sich immer gegenseitig zu ihren hohen Festen und überreichen Geschenke.“
„Ja, natürlich“, sagt auch Imad Hussein. „Wir haben viele christliche Freunde in Zabadani. Wir telefonieren auch oft. An Weihnachten waren wir immer bei ihnen zu Besuch.“
Zabadani im Westen Syriens ist jetzt weit weg für Imad Hussein und seine Familie. Mit Fassbomben habe die Armee von Assad sein Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt, erzählt er und zeigt ein Foto, das ihm Freunde geschickt haben. Die Konditorei, die er sich aufgebaut hatte, ist unter Trümmern begraben.
Sie haben es geschafft, vorher zu fliehen. Ein Jahr haben sie zu viert in einem kleinen Zimmer im Libanon gelebt. Einen Monat dauerte danach ihre Flucht nach Deutschland. Mittlerweile haben sie sogar eine eigene Wohnung. Darin steht noch nicht viel. Melanie Rakiens Eltern wollen der Familie zu Weihnachten etwas schenken: Lujain und Raed bekommen ein Bett und ihr erstes eigenes Spielzeug in Deutschland.
Bild: epd-Bild
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