Dann kam doch alles anders
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Gerade sind die vielen Menschen mit den Kerzen in den Händen vor dem Stadion in Hannover angekommen. Sie reihen sich zu einer Lichterkette, mit der sie vor dem Freundschaftsspiel der deutschen Elf gegen die Niederlande Solidarität zeigen wollen, mit den Anschlagopfern in Paris. Dann kommt alles anders. Rund 35.000 Zuschauer wollten am Dienstagabend ein friedliches Länderspiel erleben. Doch anderthalb Stunden vor dem Anpfiff schallt es durch die Megafone der Polizei: „Das Spiel wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt.“ Alle werden gebeten, „zügig, aber ohne Panik nach Hause zu gehen.“
Vor dem Anpfiff wollten die Menschen im Stadion mit einer Schweigeminute an die Opfer erinnern. Eigentlich wollten die Fans der deutschen und der niederländischen Nationalmannschaft dann gemeinsam die französische „Marseillaise“ anstimmen und auf ihre Nationalhymnen verzichten. Es ist erst vier Tage her, dass am Freitag bei einer Anschlagsserie mehr als 130 Menschen getötet und über 350 teilweise schwer verletzt worden sind. Zur Zeit der Anschläge hatte die Nationalmannschaft gegen Frankreich gespielt, einige Attentäter zündeten Sprengsätze unmittelbar am Stadion.
Fußballfreunde vor der HDI-Arena in Hannover. Bild: Cordula Paul/ LKA
Um diesem Terror zu trotzen, sind in Hannover mehr als tausend Menschen zu der Lichterkette gekommen. Die Stadt, die Kirchen und weitere Religionsgemeinschaften hatten dazu aufgerufen. Jetzt gehen alle wieder nach Hause, durch die Dunkelheit, die vom Blaulicht der vielen Polizeiwagen durchbrochen wird. Nach der Warnung hat die Polizei die Sicherheitsvorkehrungen im gesamten Stadtgebiet noch einmal verstärkt. Polizeipräsident Volker Kluwe sagte dem NDR zufolge, dass alle Konzert-Veranstalter über die Sicherheitslage informiert wurden und ihnen geraten wurde, ihre Veranstaltungen abzusagen. Es wurde ihnen aber freigestellt.
„Die Polizei hat eine Gefährdungseinschätzung“, sagt Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) noch vor dem Stadion. „Es wird Gründe geben.“ Und er fügt an: „Ich bin mir sicher, dass die Menschen weiter zeigen wollen, dass nicht Angst ihren Alltag bestimmt.“ Auch Jan Ikenmeyer fürchtet sich nicht, aber er ist enttäuscht. „Jetzt haben sie es geschafft“, sagt der 22-Jährige. Die Kerze in seiner Hand brennt noch. Zwei Frauen zeigen Verständnis für die Entscheidung der Polizei. Ein 41-jähriger Fußballfan will vor allem das Geld für die Eintrittskarte zurück.
Nur etwa eine Viertelstunde davor hatte der hannoversche Landesbischof Ralf Meister in Radiomikrophone gesagt, dass er keinerlei Angst habe. „Das ist ja das, was erreicht werden soll, eine Gesellschaft zu verängstigen“, sagte der evangelische Bischof. „Diesen Gefallen dürfen wir den Terroristen nicht tun.“ In der sich zu diesem Zeitpunkt noch formierenden Lichterkette steht Meister neben Ehefrau und Sohn und dem niedersächsischen Landesvorsitzenden der Muslime, Avni Altiner.
Für Altiner ist es eine Selbstverständlichkeit, bei der Lichterkette Solidarität zu zeigen. „Wir sind Teil dieser Gesellschaft und wollen nicht, dass Tyrannen und Barbaren sie kaputt machen“, betont er. Sein Mitgefühl gehöre der französischen Bevölkerung, fügt er hinzu: „Aber es gibt keinen einzigen Tag, an dem nicht ein Muslim durch diese Terroristen stirbt.“
Bekanntgabe der Spielabsage in Hannover. Bild: Cordula Paul/LKA
Landesbischof Ralf Meister mit Ehefrau Dagmar Ulrich-Meister und Sohn und dem Vorsitzenden des „Landesverbands der Muslime in Niedersachsen e.V.“ (Schura), Avni Altiner. Bild: epd-Bild/ Harald Koch
Mit unter den „Licht-Demonstranten“: Arend de Vries, Geistlicher Vizepräsident des Landeskirchenamtes, und Stadtsuperintendent Hans-Martin Heinemann (rechts). Bild: Cordula Paul/LKA