„Da habe ich die Zeit vergessen.“
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„Da habe ich die Zeit vergessen.“ Den Satz habe ich schon das ein oder andere Mal verwendet, nicht selten mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Wenn ich versunken war in das Lesen eines Buches und die Wäsche stehen geblieben ist. Oder wenn ich beim Spazierengehen ganz in Gedanken an der Abzweigung nach Hause vorbeigegangen bin. Und manchmal auch, wenn ich eigentlich nur schnell etwas im Internet nachschauen wollte.
„Da habe ich die Zeit vergessen.“ Das können die kleinen Geschehnisse im Alltag sein. Und die großen Einschnitte. Die Geburt unserer Tochter, bei der ich im Nachhinein erstmal rekonstruieren musste, wie viele Stunden es gedauert hat bis wir sie das erste Mal im Arm hielten. Eine Zeit jenseits vom alltäglichen Rhythmus.
Wie auch das Abschiednehmen von den Großeltern. Da war sehr deutlich, dass es nur noch um Tage oder wenige Wochen ging. Auch dieses war im Rückblick ein Schwebezustand, der außerhalb des normalen Zeitrasters lag.
Diese kleinen und großen Momente machen für mich deutlich, dass wir Menschen noch eine andere Wahrnehmung von Zeit haben – jenseits der Zeiteinteilung, die unser Leben normalerweise dominiert. Auf der einen Seite sind der Tag und die Woche ab dem Kleinkindalter strukturiert durch den Terminkalender. Ebenso in größeren Zusammenhängen: Es ist festgelegt, wann Kindergarten, Schulzeit, Ausbildung, Studium, Arbeitsleben und Rente ihren Platz im Leben haben.
Aber dann gibt es auch diese „Da-habe-ich-die-Zeit-vergessen-Momente“. So unterschiedlich sie auch sein mögen, entziehen sie sich doch alle unserem gängigen Verständnis von Zeit. Sie geben uns eine Ahnung davon, dass sich es auch ein Zeitmaß gibt jenseits unserer menschli-chen Maßstäbe.
Die Wahrnehmung von Zeit ist auch das Thema der Diskussion, die Jesus mit Pharisäern und seinen Jüngern im Lukasevangelium führt. Die Pharisäer möchten von Jesus wissen, wann es denn nun kommt, das Reich Gottes. Am besten mit dem exakten Datum.
Jesus nennt diesen Zeitpunkt nicht. Er macht in seiner Antwort deutlich, dass das Kommen des Reiches Gottes mit den gängigen menschlichen Zeitvorstellungen nicht erfassbar ist. Es lässt sich nicht einordnen in den wöchentlichen Terminplan.
Und weiter: Das Reich Gottes ist schon da. Immer wieder blitzt es auf unter uns Menschen. Terminieren können wir es nicht. Erzwingen auch nicht. Da ist Jesus eindeutig.
Ob die kleinen und großen Momente, in denen wir die Zeit vergessen, immer gleich etwas mit dem Reich Gottes zu tun haben, gar ein Teil davon sind, sei einmal dahingestellt. Doch mir führen diese Augenblicke oft vor Augen, dass mein Leben mehr ist als eingeübte, optimierte Routine. Dass es da noch etwas Anderes gibt, das nicht nur Teil meines Lebens ist, sondern dieses Leben grundlegend ausmacht. Und das kann ich dann auch Reich Gottes nennen.
Übrigens: Vorsichtig sein würde ich, das Reich Gottes zu oft als Entschuldigung anzuführen, wenn der Spaziergang dann doch mal wieder länger gedauert hat als gedacht. Das könnte auf die Dauer dazu führen, das Reich Gottes wieder zu sehr mit menschlichen Maßstäben zu verknüpfen.
Pastor Benjamin Simon-HinkelmannBild: jessicahyde /fotolia.com
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