Startseite Archiv Tagesthema vom 16. Oktober 2015

Himmelsgeschmack

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„Nimm diesen Ring als Zeichen meiner Liebe und Treue“, spricht die Braut und schiebt ihrem Mann den Ring auf den Finger. Beide strahlen sich an und geben sich einen Kuss. Und als dann die Klänge ihres Lieblingsliedes das Kirchengewölbe erfüllen, ist alles so rund und glänzend wie der goldene Fingerring. Ein himmlischer Moment der ganz großen Gefühle. Prinzessinnenkleid, Blumenschmuck und Festmusik schenken Brautpaar und Gäste einen paradiesischen Augenblick: Wo zwei eins werden, da kann Leben wunderbar sein.

Liebende holen den Himmel auf die Erde, sagt die Pastorin. Liebende leben so, wie Gott es sich für seine Menschen wünscht.

Wer würde im Glanz dieser Stunde andere Sätze wagen? Im Angesicht des Himmels über Ehehöllen und Scheidungsraten räsonieren? Klein und schäbig ist das Erdenleben oft genug – und klein und schäbig klingt dem Überschwang der Liebe auch die Frage: Darf ein Mann sich scheiden lassen von seiner Frau?

Jesus predigt den Himmel auf Erden, er heilt und tröstet wunde Körper und Seelen im Namen der treuen und leidenschaftlichen Liebe Gottes – und muss sich im Angesicht liebevoller Worte und Taten fragen lassen, ob die Liebe aufhören darf. Vielleicht ist es eine echte, ernste Frage. Eine Bitte an Jesus, auch ein Scheitern der Liebe zuzulassen.

Jesus kennt die harten Herzen, in denen die Liebe erlischt – und erzählt vom Paradies. Vom Zauber des Anfangs. Vom zauberhaften Beginn der Liebe zwischen zweien, die ein Fleisch werden. Nicht ein Herz und eine Seele. Sondern ein Fleisch. So hat Gott es gewollt, als er zwei in seinen Paradiesgarten setzte. Der Mensch soll nicht allein sein. Verloren sind die, die nicht geliebt werden und die – schlimmer noch – nicht selbst lieben können. Jenseits des Paradieses sind die, die sich nicht zu zweit „unter ein Joch spannen lassen“, um das Leben gemeinsam zu bestehen und Verantwortung zu teilen.

Dieses Ein-Fleisch-Sein umfasst so viel mehr als die erotische Liebe. Ein Fleisch sind auch Rut und Noomi, als die Schwiegertochter Rut zu ihrer Schwiegermutter Noomi die berühmten Liebesworte spricht, die heute so viele als Trauspruch schätzen: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.“

Die Frage „Darf ich mich scheiden lassen?“ geht an der Liebe vorbei. Denn jede Lust will Ewigkeit. Jede tiefe Bindung wünscht sich Treue für immer. Und wenn Herzen hart werden, die Lust aneinander versickert, die Treue brüchig wird und die Liebe stirbt, bleibt Gott nicht unberührt. So hat er die Welt nicht gemeint, als er sie schuf und seinen Menschen Liebe wünschte.

Trotzdem legt er auch über unsere Hartherzigkeit seinen Segen. Schon Noah verspricht er nach der Sintflut, dass seine Liebe und Treue niemals enden. Solange wir auf dieser Erde leben, kann auch aus dem öden Grund einer gescheiterten Beziehung neue Liebe keimen. Liebe mit Himmelsgeschmack und der Sehnsucht: jetzt und für immer.

Sabine Schiermeyer, Pastorin
 

Erschienen in: Evangelische Zeitung

Der Text

Und Pharisäer traten zu ihm und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau; und sie versuchten ihn damit. Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

Aus Markus 10, 2-9)
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Bild: Jens Schulze

Die Autorin

Sabine Schiermeyer ist Pastorin in Rinteln. 

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Sabine Schiermeyer Bild: privat