Startseite Archiv Tagesthema vom 21. September 2015

Blind vor dem Altar

In wenigen Tagen beginnen neue, junge Theologen in Niedersachsen ihr Vikariat - den kirchlichen Vorbereitungsdienst für das Pastorenamt. Und eine besondere junge Frau schließt ihr zweijähriges Vikariat mit großem Erfolg ab. Trotz ihrer mit vier Jahren verlorenen Sehkraft. Ein Videobeitrag über die außergewöhnliche Vikarin aus Celle.

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Wenn sich Vikarin Dr. Christina Ernst auf einen Gottesdienst vorbereitet, liegen nicht nur Talar und Bibel bereit - sondern auch ihr Blindenstock. Die blinde Theologin will ihren Traum wahr machen und Pastorin werden.

Zwei Jahre lang war die junge Theologin Vikarin in der Celler Stadtkirche. Obwohl sie die Kirche selbst nie sehen kann, hat sie seit Herbst 2013 Taufen, Hochzeiten, Trauerfeiern und jegliche andere Gottesdienstformen souverän geleitet. Zudem war sie mit ganzem Herzen dabei, was sie bei den Gemeindemitgliedern stets sehr beliebt gemacht hat.

Wer Pastor oder Pastorin wird, beginnt nach dem Studium der Theologie den kirchlichen Vorbereitungsdienst, das sogenannte Vikariat.

In dieser zweiten Ausbildungsphase erwerben die Vikarinnen und Vikare theologisch-pastorale Handlungskompetenz. Das Vikariat findet an zwei Orten statt:

  • in einer Kirchengemeinde, in der unter Anleitung eines Pastors/einer Pastorin (Vikariatsleiter/in) die pastoralen Tätigkeiten erprobt und angeeignet werden und
  • im Predigerseminar, wo in Studienwochen die Praxis reflektiert und mit den Kolleginnen und Kollegen diskutiert wird, weitere Kenntnisse erworben und auf die Praxis bezogen werden.

Der kirchliche Vorbereitungsdienst schließt nach 2 1/4 Jahren mit dem Zweiten Theologischen Examen ab.

Jeweils im Frühjahr und im Herbst beginnt ein neuer Vikariatskurs. Bis zu 25 Vikarinnen und Vikare werden in ihrer Vikariatsgemeinde und gemeinsam im Predigerseminar ausgebildet.

Ein ermutigendes Beispiel

Mich beeindruckt die blinde Vikarin Dr. Christina Ernst immer wieder. Wie sie ihren Weg in der Gemeinde findet und dabei von so vielen Menschen Unterstützung erfährt. So kommt es zu einer gelebten Gemeinschaft zwischen der Gemeinde und ihrer Vikarin. Mit ihrer selbstbewussten Art bringt sie die Menschen ins Gespräch und öffnet für eine neue Perspektive.

Auf den ersten Blick ungewöhnlich, dass eine Vikarin, die in der Gemeinde in ihrer Funktion viele Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen begleiten soll, diese Aufgaben und Herausforderungen mit ihrer Beeinträchtigung ansehnlich bewältigt. Doch genau darin kann ich eine Stärke erkennen. Denn sie geht unabhängig vom ersten, optischen Eindruck vorurteilsfrei auf alle Menschen gleichermaßen zu. Dabei wirkt sie in ihrer authentischen Art imponierend.

Sie ist ein Gewinn für die Kirche und beweist eindrucksvoll, wie der Dienst einer Pastorin am Evangelium in besonderer Weise gelebt werden kann.

Es ist bewunderungswürdig wie sie das Theologiestudium, eine Promotion und das Vikariat mit allen ihren unterschiedlichen Herausforderungen mit Tatendrang angegangen ist. Ich kann mir keinen Beruf vorstellen in dem eine Akademikerin auf ihre ganz persönliche Art und Weise so ihrer Profession nachgehen und diese ausleben kann.

Wenn nun Ende September ein neuer Vikariatskurs beginnt und die Pastorenanwärter/innen sich den praktische Herausforderungen in Schule und Gemeinde stellen werden, kann Dr. Christina Ernst ein ermutigendes Beispiel sein. Alle bringen unterschiedliche Voraussetzung mit in die Praxis, doch es ist die Art und Weise, wie man damit umgeht und im Miteinander der christlichen Gemeinschaft seine Talente einbringt.

Stefan Wollnik, Vikar ab Ende September 2015
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Bild: Stefan Wollnik